33 rpm

„Was hast du zum Geburtstag bekommen, Opa?“
Milo beugt sich herüber und starrt mir ins Gesicht.
„Hammer, Milo, Hammer!“, rufe ich ausgelassen. „Eine Schallplatte von den Young Gun Silver Fox. Die Jungs klingen wie Steely Dan und Doobie Brothers in ihren besten Tagen. So ein richtig cooler Westcoast Sound. Yess!“
Meine rechte Faust landet auf dem Tisch. „Mega Akkorde, Milo, mega!“
Das zweite „mega“ ziehe ich fett in die Länge.

14. März 2023

Der Kleine schaut mich an, dreht sich zu seiner Mama und flüstert ihr ins Ohr. Die fängt an zu lachen.
„Frag ihn“, sagt sie schnell, „frag nach!“
Doch Milo traut sich nicht so recht. Mit dieser Opabegeisterung hat er definitiv nicht gerechnet.
„Was ist eine Schallplatte?!?“, flüstert er endlich, „was macht man damit?“
Meine Gesichtszüge entgleisen.

Nach ein paar Schrecksekunden geht es mir wieder besser und ich verstehe: Woher soll der Kleine wissen, was eine Schallplatte ist? Vermutlich hätte er schon mit Begriffen wie CD- oder MP3-Player seine liebe Not. Dass er im Schlaf auf Mamas Handy Hörbücher in seine Playlist verschieben … Siri Anweisungen geben und auf Spotify ein Mixtape erstellen kann … geschenkt.

Schallplatten … diese wunderbaren schwarzen Scheiben. Schließe ich die Augen und denke an das kleine Plattenlädchen am Blarerplatz in Esslingen, rieche ich noch heute den Mix aus Vinyl, Tabak und Patchouli.  
Ich sehe Uli vor mir, wie er mir das Plattencover von Crosby, Stills, Nash & Young über den Tresen schiebt. Ich greife nach dem Kopfhörer und höre schon den kristallklaren Sound der Pedal Steel Guitar. „Teach your children well!“, fordern sie mich vierstimmig auf. Und ich bin bei ihnen.

Abends ist der Geburtstagstrubel vorbei. Ich sitze im Sessel und denke wieder an die Opa-Enkel-Unterhaltung. Vielleicht liegt’s an der plötzlichen Ruhe, denn mir fallen immer neue Begriffe ein, mit denen der Kleine seine Mühe hätte: Wählscheibe. Oder: Bandsalat. Die blauen Kopien aus dem Matritzendrucker. Bonanza-Rad. Telefonzelle.

Und dann frage ich mich, wie es Leuten ergeht, die meine begeisterten Statements über den Glauben, Jesus und Gott hören. Verstehen die auch nur „Schallplatte“?
Vermutlich.
Denn aufs erste Hören klingt die Message abgefahren:
Der Sohn von Gott verlässt den Himmel, besiegt den Teufel, wird dabei aber getötet, kommt drei Tage später wieder ins Leben zurück, um sich dann nach 40 Tagen endgültig mit den Wolken in seine himmlische Heimat zu verabschieden.
Um die Gläubigen nicht allein zu lassen, schickt Gott einen Geist, der sich in auf mit den Christen verbindet. Am Ende des Christenlebens ist es genau dieser Heilige Geist, der den Eintritt in die Ewigkeit garantiert. Für diejenigen ohne Geist-Begleitung bleibt die Tür in den Himmel verschlossen.

Damit aus einer „abgefahrenen“ Message eine greifbare, für alle Menschen verständliche, anwendbare wird, braucht es Zeit, Liebe und noch mehr Zeit. Erklärungen. Ausgestreckte Hände. Den langen Atem.
Das übrigens … ist ein Phänomen über alle Epochen hinweg: Wer auf die Erklärnummer verzichtet, handelt lieblos und zutiefst egoistisch.
Im Neuen Testament hält Paulus den Christen die Spiegelfläche vors Gesicht: „Wie sollen die Leute glauben“, nervt er die Gemeinde in Rom an, „wenn sie noch nichts von Jesus gehört haben?“ Und: „Von ihm hören kann man nur, wenn jemand da ist, der die Botschaft von ihm verkündigt.“

Jemand erklären, wie eine Schallplatte funktioniert, ist das eine. Damit sich Milo ein Bild machen kann, werde ich ihm bei seinem nächsten Besuch die schwarze Scheibe präsentieren. Er darf den Hebel vom Plattenspieler bedienen und den Young Gun Silver Fox beim Singen zuhören.

Jemand erklären, warum es sich bei der christlichen Botschaft um eine geniale, frohmachende, das eigene Leben betreffende und rettende handelt, ist ein anderes Kaliber. Wir kommen an der Erklärnummer nicht vorbei.


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