Als sei immer alles so einfach

Keine zwanzig Meter von mir dreht sich ein langes, schlankes Holzboot im Kreis. An dieser Stelle ist der Seitenarm vom Neckar ziemlich schmal und deshalb rammt der Kahn immer wieder die eine Uferseite, dann die gegenüberliegende.

Einige der Mitfahrer kreischen und lachen; andere schöpfen mit Bechern Wasser aus dem Inneren des Boots und schauen alles andere als belustigt. Stocherkähne - sie gehören zum Tübinger Stadtbild wie der Eiffelturm zu Paris - können von jedermann gemietet werden. So die Theorie. Aber … das Vorwärtskommen erfordert Geschick und Übung, schließlich steht der Stocherer auf einer schmalen Holzplatte am Ende des Bootes und muss mit dem fast fünf Meter langen Holzstab bis hinunter auf den Flussgrund gelangen, um sich dort abzustoßen. Strudel und Strömung warten nur darauf, den Anfängern zu zeigen, wer hier wassertechnisch die Mütze aufhat. Die Folge? Siehe oben.

Der Stocherer, vielmehr … es ist eine Stocherin … schwankt zwischen Trotz und Panik. Sie schwingt den langen Holzstab über ihrem Kopf, rammt ihn abwechselnd links, dann wieder rechts des Bootes hinab auf den Grund. Nach kurzer Zeit endet die wilde Fahrt auf dem Wasserkarussell und der Kahn steht still in der Kanalmitte. Sie hat ihn ausgerichtet und ich kann mir vorstellen, wie sie in diesem Augenblick triumphiert. Ihre Beifahrer klatschen und johlen. Dann zieht sie den Holzstab aus dem Wasser, schwenkt ihn über die Köpfer der Mitfahrer und stößt ihn wieder hinab auf den Grund. Der Kahn gewinnt an Fahrt.

Alles braucht seine Zeit. Das wusste schon der weise König Salomo und dieses Statement hat es bis in die Bibel geschafft. Nicht von ungefähr, vermute ich. König Salomo zählte Ereignisse auf, die einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen: geboren werden, sterben, lieben, pflanzen, klagen, Steine sammeln.

In unseren Tagen will kaum einer in diesen Langzeit-Zyklen denken geschweige denn unterwegs sein. Heute gilt: „sofort“, „jetzt“, „unverzüglich“, „schnell“.

Mit dieser Erwartungshaltung wird dann auch Jesus konfrontiert. Und weil der nicht auf Anhieb seinen Segen zu unseren Zeitvorstellungen abnickt, schwillt dem ein oder anderen der (Glaubens-)Hals.

Aber: Nichts ist einfach. Alles braucht Übung. Wiederholung. Fallen, aufstehen, weinen, Trotz … und (hoffentlich auch) die Freude über jeden Fortschritt.

Wer jedoch behauptet, dass ein Leben mit Jesus eine Aneinanderreihung von Highlights, Glück und Wundern bereithält, verschweigt die Wahrheit. Nichts ist einfach - auch nicht das Leben als Christ. Manchmal drehen wir uns wie die Kapitänin des Stocherkahns auf dem Seitenarm des Neckars im Kreis. Oder wir krabbeln auf allen vieren durchs Leben, weil zum Aufstehen die Kraft fehlt. Und?

Etwas falsch gemacht?

Gut möglich. Die Frau auf dem schlanken Stocherkahn musste lernen, wie und wann und wo sie den langen Holzstab ins Wasser drückt. Bis es so weit war, machte sie sich vor ihren Kumpels und den vielen Gaffern auf Tübingens Brücke zum Affen. So what?

Nichts ist einfach - auch nicht, wenn Jesus in deinem Boot hockt. Manchmal wünscht man sich, dass der Sohn Gottes mit einem lässigen Fingerschnipsen alle Schwierigkeiten wegzaubert; so dass der Kahn schön mittig im Kanal dümpelt und sich das Stochern fast von selbst erledigt:

… dass sich das Leben nicht ständig im Kreis dreht

… es SICHTBARE Fortschritte gibt

… sich (wenigstens) kleine Erfolge einstellen

Es stimmt schon: Manchmal greift Jesus ein und die Welt dreht sich schlagartig in die andere Richtung. Doch normal ist das nicht. Unser Leben und Lernen und unser Glaube bedarf viel Übung, Lernen und noch mehr Versuche. Das gehört dazu. Und immerhin sitzt Jesus im Boot. Der also, der mit unserem (angeblichen) Unvermögen super zurechtkommt.

Herzlichst, wo immer du dich gerade im Kreis drehst,

Thomas Meyerhöfer

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