Ausgeküsst

An der Wursttheke plaudert eine etwa achtzigjährige, kleine, vogelgleiche Frau mit der Verkäuferin.
„Ich möchte zwei Bratwürste.“
„Sind ausverkauft“, sagt die Dame und streicht sich über ihre rosafarbene Schürze.
„Und was ist mit Pfefferbeißer?“, will die Alte wissen.
Die Verkäuferin schüttelt ihren Kopf. „Wurden nicht mitgeliefert. Aber wir haben Knoblauchwurst im Angebot. Nur noch heute und morgen.“
Der Alten huscht ein Grinsen übers faltige Gesicht. Sie schüttelt ihren Kopf und lacht: „Puuh! Knoblauch! Wer soll mich dann noch küssen?!?“
Die Verkäuferin verzieht keine Miene. Hinter der Frau, die aussieht wie ein kleiner zarter Vogel, hat sich eine Warteschlange gebildet. Da bleibt keine Zeit für Mitgefühl und Trost.

28. Februar 2023

Ich bin einer der Wartenden. Um genau zu sein: Ich stehe direkt hinter der zarten Erscheinung. Und ich weiß es ganz sicher: Zuhause wartet keiner, der sie in den Arm nimmt, sie lange küsst und ihr schließlich aus dem Mantel hilft. Denn: Sie lebt allein. Schon viel zu lange. Und: Niemand würde sich über ihre Knoblauchdüfte beschweren. 

Am Abend checke ich den Status meiner Bekannten auf Whatsapp. Anschließend arbeite ich die Storys meiner Follower auf Insta ab: Jemand hält eine Tasse ins Bild; im Hintergrund ist das Mittelmeer zu sehen. Darüber hat derjenige geschrieben: „großes von Gott erwarten!“ 
Eine andere hat ein paar Sprüche gepostet. Sie klingen nach Aufbruch und dem ungeduldigen Warten auf das nächste fette Gottesabenteuer.
Und auch hier weiß ich es ganz genau: Der Aufbruch in das große geistliche Abenteuer ist genauso unwahrscheinlich wie dieser leidenschaftliche Kuss, den sich die sanfte alte Lady von Herzen wünscht. 
Und ich frage mich: Wer macht hier wem etwas vor?

Kämpfe ich mich durch die vielen Angebote auf YouTube, dann stellt sich mir unweigerlich die Frage, was um alles auf der Welt wir falsch machen; wieso wir nicht diese inspirierenden Erfahrungen machen wie der Kollege hinterm Mikro; warum es in unserem Leben nicht den Erfolg beim Beten gibt; wieso der Alltag wieder so zäh und unmotiviert verläuft; weshalb sich die Krankheit nicht aus dem Körper vertreiben lässt, immer noch Panikattacken den Tag beherrschen, die Suche nach dem richtigen Partner von Niederlagen bestimmt wird. 
Es klingt alles so easy, was die YouTube - SpeakerInnen von sich geben … schade nur, dass es sich so selten im eigenen Leben erfahren lässt.

Kann es sein, dass wir das Christsein ent-romantisieren müssen? 

Denn: Nicht nach jedem Sturm scheint wieder die Sonne. Hinter Schicksalsschlägen lächelt oft kein tieferer Sinn. Ein Absturz kann tödlich enden. Eine Krise findet kein Ende. Die Psyche erholt sich nicht. Unsere Kinder sind rauschgiftabhängig. Gebete verkümmern auf dem Weg zur Zimmerdecke. Meine an Gott gerichteten Erwartungen pulverisiert’s aber sowasvon.

Und wir müssen feststellen: Geküsst werden wir von Gott schon lange nicht mehr - und dabei verzichten wir doch auf die stinkende Knoblauchwurst. 

Gut möglich, dass die YouTube-SpeakerInnen in ihrem Leben von einem Glücksbad ins nächste springen; sie mit Gott auf du und du sind; immer neue geistliche Höhen erklimmen und so viele tolle Abenteuer abfeiern. 
Der Realität entspricht das nicht. Oder: nicht immer. 
Denn die SpeakerInnen leiden auch unter Einsamkeit - so wie wir. Ihr Leben ist auch langweilig; die Bibel erzählt zum wiederholten Male ihnen nichts Neues; Gott schweigt schon viel zu lange. Der Teufel legt auch bei ihnen seine Fallen aus, sie tappen wie geistliche Anfänger voll in die Kacke und ihr Leben gerät aus den Fugen. 

Doch darüber sprechen die wenigsten. Dürfen sie auch nicht, denn ihre Follower müssen schließlich bei Laune gehalten werden. 

Glaubt man den Männern und Frauen aus der Bibel, ist die Nachfolge hinter Jesus her ein Kampf. Nope, nicht (nur) gegen die Dämonen der unsichtbaren Welt. Unser sichtbarer Alltag macht uns doch viel mehr zu schaffen: 
Da sind die Arbeitskollegen, die ihre Sexfantastereien herumposaunen (BTW: Wir wissen natürlich, dass da gar nichts war …); 
die Geschwister, die in ihrer Sucht nach Geld alle Familienbande zerstückeln; 
Feinde aller Art, die wir (wenn wir Jesus ernst nehmen) segnen sollen; 
die allnächtlich erdrückende Vermutung, dass unser Ehepartner am Computer eine Ehe nach der anderen bricht. 
Und. So. Weiter. 

Jesus verzichtet auf Erfolgsversprechungen. Stattdessen behauptet er: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Johannesevangelium, Kapitel 16 Vers 33). 
Das bedeutet nichts anderes, als dass wir bis zum Ende unserer Zeit immer wieder in Angst leben; wir mit unschönen Herausforderungen umgehen müssen; sich unsere Hoffnungen zerbröseln und manchmal nicht wissen, wie das Morgen gemeistert werden kann; sowohl die linke und die rechte Backe angeschwollen sind, weil sich unsere Feinde lustvoll daran austoben. 

„Ich hab’s geschafft“, sagt Jesus. „Ich habe die Welt überwunden. Deshalb werde ich dich in deinen Herausforderungen nicht alleine lassen!“ 

Deshalb - an alle Mitstreiter da draußen: Setzt eure Hoffnung auf Jesus. Und lernt, euer Schwert (das Wort Gottes) richtig einzusetzen. 


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