Die Luft ist raus
Gestern war ich in Wien, zwischen Betonfassaden und dem letzten Rest Hitze, der sich in den Hausfluchten gefangen hat. Heute stehe ich auf einem Campingplatz irgendwo am Neusiedler See.
Morgen geht’s nach Graz. Ich bin unterwegs – nicht nur mit dem Wohnmobil. Auch mit offenen Augen und Fragen, die mitreisen, egal wie viele Kilometer dazwischenliegen.
Neben mir steht ein alter Lieferwagen, das Blech matt, als hätte es sich irgendwann entschieden, keinen Glanz mehr haben zu wollen. Darin campt ein Mann, der aussieht, als hätte er mehr erlebt, als andere sich zu erzählen trauen.
Er sagt etwas, als er mich sieht, irgendein Satz, halb im Dialekt verschluckt, halb vom Wind verweht. Ich kann österreichisch. Nur ihn verstehe ich nicht. Ich nicke, sage „aha“, wie man das eben macht, wenn man nicht unhöflich sein will.
Er merkt es.
Kommt abends noch mal rüber, steht wieder vor mir, ein paar Meter zu nah für einen Fremden.
Er deutet mit dem Kinn in Richtung meines Fahrzeugs.
„Ich bin Atheist. Ich glaub das nicht.“
Diesmal verstehe ich ihn. Glasklar.
„Was ist das, superfromm?“ fragt er dann, ohne Ironie.
„Eine Talkshow“, sage ich, „Menschen erzählen von ihrem Leben. Und von ihrem Glauben.“
Er schaut mich an, als prüfe er, ob ich das wirklich so meine.
„Ich bin Atheist“, wiederholt er, wie ein Name, den man sich selbst gegeben hat.
„Bin zwei Mal angeschossen worden. Sie wollten mich schon zudecken.“
„Zudecken?“
„Im Krankenhaus. Die hatten keine Hoffnung mehr. Ich glaube nichts.“
„Was nicht ist, kann ja noch werden“, erwidere ich ernst.
Dann setze ich mich zurück in meinen Campingstuhl.
Und er geht.
Am nächsten Morgen weckt mich das Geräusch von entweichender Luft. Sein Schlauchboot stirbt leise in der Sonne. Er packt zusammen. Die Dinge landen wieder an ihren Plätzen, als würde das helfen, sich selbst zu ordnen.
Ich will nicht, dass er einfach so verschwindet.
„Darf ich meinem atheistischen Campingnachbarn noch ein Buch schenken?“ rufe ich über den Platz. „Geht aber um Jesus!“
Er lacht. Offen, nicht abwehrend.
„Klar. Ich werde es lesen. Seite für Seite. Versprochen.“
Dann setzt er sich. Auf meinen Stuhl. An meinen Tisch.
Und beginnt zu erzählen. Nicht sprunghaft oder wild, sondern leise, mit dieser Schwere in der Stimme, die Menschen haben, wenn sie sich selten jemandem anvertrauen.
Er redet über die Einschüsse. Zieht sein T-Shirt hoch, zeigt mir die Narben, als müsse er sie selbst noch mal ansehen, um zu glauben, dass er das alles überlebt hat. Er erzählt von den Nächten, die keinen Morgen wollten, und den Tagen, die nichts übrigließen. Von dem, was blieb. Und von dem, was sich nie wieder richtig zusammensetzen ließ.
Am Ende schreiben wir unsere Handynummern auf einen Zettel.
Er faltet ihn wie etwas, das man nicht verlieren darf. Vielleicht das erste Stück Vertrauen seit langer Zeit.
Was ist, wenn alles schon versucht wurde?
Es gibt Menschen, die haben alles durch: Meditation, Rückführungen, Coaching-Seminare, Klangschalen, Achtsamkeitstraining.
Sie haben ihre Wurzeln aus der Erde gezogen, in der Hoffnung, dass irgendwo anders besserer Boden wartet. Aber niemand sagt einem, dass Wurzeln nicht ewig durchhalten, wenn man sie an der Luft hängen lässt.
Sie wollen frei sein, sagen sie. Frei von Erwartungen, frei von der Vergangenheit, frei von sich selbst. Und sie rennen. Immer weiter. Bis einer sie zudeckt und jemand flüstert: Es ist vorbei. Gestorben auf dem Weg in die Freiheit. Nicht, weil sie zu wenig wollten, sondern weil sie in die falsche Richtung liefen.
Freiheit ist kein Zustand.
Kein Gefühl.
Sie ist eine Begegnung.
Sie passiert, wenn du plötzlich jemandem gegenüberstehst, der dich ansieht, als hätte er dich schon immer gekannt.
Und du hörst dieses Statement – nicht laut, aber wahr:
„Wenn euch der Sohn frei macht, dann seid ihr wirklich frei.“
(Johannes 8,36)
Das ist der Anfang. Und vielleicht reicht genau dieser Moment, um zu begreifen, dass du dich nicht ständig neu erfinden musst; dass es entscheidend ist, sich endlich irgendwo einzupflanzen.
Mit allem, was war.
Mit allem, was gebrochen ist.
Nicht mehr entwurzelt, sondern tief eingegraben – in Jesus.
Es reicht, wenn einer deinen Namen kennt, bevor du ihn selbst wieder aussprechen kannst. Wenn du spürst, dass du mit allem, was du schon versucht hast, nicht wirklich weiterkommst.
Wenn du müde bist vom Suchen und trotzdem noch nicht aufgeben willst. Dann vertrau dich Jesus an. Nicht weil du musst, sondern weil er dich längst sieht. Und weil echte Freiheit nicht dort beginnt, wo du alles im Griff hast, sondern wo du dich vom Sohn Gottes halten lässt.