Die Todesstrecke

Eine Jugendgruppe organisierte einen Abenteuerurlaub – quer durch Griechenland. Sie brauchten einen, der ihnen täglich ein kurzes Kapitel aus der Bibel erklärte.

„Würdest du das machen?“, fragte mich der Leiter und dachte, dass dies Anfrage lediglich eine Formsache sei. „Kostenloser Urlaub, komm, das wird cool!“

„Mit dem Schiff?“, hakte ich nach.

Er nickte.

„Du meinst, wir sind eine Nacht auf dem Boot und …“

„Achtzehn Stunden“, rief er und stieß gegen meinen Ellbogen. „Das wird der Hammer, oder? Komm schon, mach mit!“

 

Also … mir wird auf einer Luftmatratze schlecht. Kein Scheiß. Und mit diesem nervösen Magen achtzehn Stunden auf einem Dampfer? Schlafen an Deck, morgens auf See die erste Predigt?

Ich schüttelte den Kopf. „Das pack ich nicht. Auf keinen Fall.“

 

Sie bearbeiteten mich zu dritt. Warum ich trotzdem mitmachte, lag definitiv nicht an ihren Überzeugungskünsten.

Ein banaler Grund: Ich befand mich mitten im Theologiestudium und brauchte dringend noch ein Praktikum, um die Voraussetzungen fürs letzte Studienjahr vorzuweisen.

Also ab nach Griechenland.

 

Das Meer zeigte sich von seiner besten Seite. Nichts los auf dem Wasser. Alles gut. Am Hafen wartete der Reisebus. Die Fahrt führte durch das Pindus – Gebirge. Ziel: die Meteora – Klöster. Soll heißen: Eine Kurve gibt sich die nächste. Und ich mir die Kugel.

Stundenlanges abbremsen, dem Gegenverkehr ausweichen, beschleunigen und ab dafür hinein in die nächste Haarnadelkurve.

 

Irgendwann war alles zu spät: Die Busfahrerschulter bekam einen Hieb, ich hämmerte gegen die Tür, fiel aus dem Bus, beugte mich über die Leitplanke und spuckte ins Tal. Ein paar Meter weiter steckten bunte Blumen in der Leitplanke. An ihnen hing ein Foto in Schwarz/Weiß.

 

Kurze Zeit später ging es wieder. Mein Magen hatte sich beruhigt und der Busfahrer gab sich Mühe. Erst jetzt registrierte ich die vielen frischen Blumen entlang der Straße. Alle paar Kilometer ein Strauß – meistens weiße Nelken.

 

Abends, endlich am Campingplatz angekommen, baten mich die Jugendlichen um eine kurze Abendandacht.

Ich wählte die vielen Blumen von unterwegs als Beispiel dafür, wie schnell das Leben sich verändern oder auch vorbei sein kann. Unfall, Verletzung, Tod. So schnell, dass manchmal gar keine Zeit mehr bleibt, um sich von seiner Familie und seinen Freunden zu verabschieden.

 

„Das Leben bewusst gestalten und leben …, und auch die Zeit danach nicht vergessen … – Herausforderungen, die wir nicht verdrängen dürfen“, sagte ich.

„Wie meinst du das?“ Sie war höchstens achtzehn und saß auf ihrer Luftmatratze.

 

Ich griff nach meiner Bibel und las ein paar Zeilen einer Geschichte vor. Darin konfrontiert eine junge Frau Jesus mit einem Todesfall aus ihrer Familie. „Wer an mich glaubt“, gibt ihr Jesus seinerzeit zur Antwort, „wird leben – auch dann, wenn er gestorben ist. Glaubst du das?“ Anstatt eines schlichten „ja“ oder eines bloßen Kopfnickens formuliert diese Frau ein Bekenntnis, das zeigt, wie sehr sie sich mit dieser Frage schon seit längerem auseinandergesetzt hat: „Ich glaube, dass du der Erlöser, dass du der Sohn Gottes bist.“

 

Später, als die anderen schon in ihren Schlafsäcken lagen, kam sie zu mir. Sie hatte geweint. „Mit meinem Glauben …“, fing sie an und heulte los. Ich schwieg.

 

„… weißt du, die Frau, die Geschichte von vorhin, also …“

Sie fuhr sich mit einem Taschentuch über die Nase, „ich will das auch so sagen können. Verstehst du, was ich meine?“

„Dass Jesus der Sohn Gottes ist?“

Sie nickte. „Das … das ist so echt, weißt du. Die Frau, und das spür ich ihr total ab, hat sich Gedanken gemacht. Sie will das. Total! Und ihre Antwort ist so … ist so echt.“

„Wies hättest du geantwortet?“, fragte ich vorsichtig nach.

 

Sie griff nach einem Stein und rieb ihn an ihrer Jeans. „Vermutlich …“, begann sie stockend, „vermutlich hätte ich ihm gesagt, dass ich es nicht weiß.“ Sie warf den Stein ins Feuer. „Aber dass ich es wissen möchte!“

 

Wie lange wir in jener Nacht über den Glauben, Jesus und das Leben geredet haben, weiß ich nicht mehr.

 

Am nächsten Morgen wurde ich geweckt. Jemand rüttelte vorsichtig an meiner Schulter. Ich schob den Kopf aus dem Schlafsack und sah in das Gesicht von diesem Mädchen, dessen Namen ich vergessen habe. Sie kniete neben mir.

 

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich Jesus gesagt habe, was ich von ihm halte. Meinst du, es nervt ihn, wenn ich dafür die gleichen Worte gebraucht hab wie die Frau aus der Bibel? Ich meine, da kann ich ja schon nichts falsch ma…“

„Mit Sicherheit nervt er sich!“

Ich stöhnte auf.

„Echt jetzt?“

Ihre Augen hüpften durchs Gesicht.

„Ist das verboten und muss ich mir …“

„Quatsch Mensch, alles in Ordnung, echt, war nur Spaß. Ich bin noch ein bisschen müde!“

Sie lächelte.

„Ok, dann ist es mir recht. Danke. Bin echt froh, dass ich das so sagen kann.“

Sie stand auf und verschwand in ihr Zelt.

„Ich auch“, flüsterte ich und schob meinen Kopf zurück in den Schlafsack.


superfromm als Newsletter

Wer keine Folge superfromm verpassen will: Jetzt Newsletter abonnieren. Hier gibt’s Infos zur aktuellen Sendung und eine Vorshow auf die Sendung in der kommenden Woche. 



UnterstützerIn werden!

Zur Herstellungvon superfromm sind hunderte Produktionsstunden notwendig; mehrere Tausend Euro benötigen wir jeden Monat, um die Arbeit fortzusetzen.
Wenn dir gefällt, was wir produzieren und publizieren, dann unterstütz’ uns bitte mit einer Spende.