"Mach keinen Scheiß!"

Es waren die jungen Jahre des Thommy M – Polizist in Ausbildung:

 

Seinerzeit stand ein mehrtägiges „Manöver“ auf dem Lehrplan: zelten, marschieren, in den Dreck werfen, aufstehen und wieder in den Dreck schmeißen. So Zeug halt, das man aus Filmen kennt.

„Volle Deckung Marsch Marsch!!“ brüllte der Ausbilder und wir lagen in der Pfütze. Vielmehr: Schafscheiße. Denn idealerweise hatte sich der Schleifer eine Wiese ausgesucht, auf der bis vor Kurzem noch die Wolltiere um die Wette fraßen und verdauten.

 

Und dann war da noch der gefürchtete 40-Kilometer-Marsch. Natürlich mit Vollausrüstung (Rucksack und Gewehr) – wer die vorgegebene Zeit nicht schaffte, musste zurück auf die Schafwiese.

 

Den Marsch habe ich überlebt. Sogar die vorgeschriebene Zeit eingehalten.

Abends schlich ich mich aus dem Zelt und hockte an das Ufer. Sterne funkelten und die Lichter von Konstanz spiegelten sich im schwäbischen Meer.

„Du hier?“ fragte eine Stimme aus der Dunkelheit.

Ich nickte und rutschte zur Seite.

Simson (er heißt tatsächlich so) setzte sich neben mich und zündete eine Zigarette an.

„Es kotzt mich an!“, flüsterte er und blies den Rauch in die Nacht.

Ich nickte und stand auf.

„Dort drüben ist die Freiheit!“, sagte ich leise und zeigte hinüber ans gegenüberliegende Schweizer Ufer.

„Willst du abhauen?“ Simson stellte sich neben mich und seine Stimme klang ehrlich besorgt.

Ich schwieg.

 

Es gibt Geschichten, die brennen sich auf unsere interne Festplatte – und selbst Geräusche, Gerüche und Mikrokleinigkeiten können wir Jahrzehnte später abrufen. Da kommst du an diesen Ort zurück und alles ist wieder präsent.

So wie bei mir.

 

Heute, gerade jetzt, schreibe ich zweihundert Meter von der Stelle entfernt, an der ich seinerzeit in die (vermeintliche) Freiheit abtauchen wollte.

Diese Geschichte … ich hatte sie schon lange nicht mehr auf dem Schirm. Doch als ich vorgestern den Bodensee vor mir sah, ploppte die Story in die Gegenwart.

 

Ich weiß, ich weiß … heute, gefühlte hundert Jahre später, ist mir schon bewusst, dass dort drüben in der Schweiz nicht die Freiheit auf mich gewartet hätte, nach der ich mich sehnte.

 

Ist der Leidensdruck zu groß, klingeln im Kopf die Alarmglocken. Doch wer will die hören?

„Jetzt reicht’s mir!“, schreist du und kündigst spontan, rennst aus der Wohnung, schiebst das Neugeborene in die Klappe, rast auf den Baum zu, springst in die Nacht, gibst sich dem/der Fremden hin.

In solchen Momenten schaltet der Verstand auf Stand-by. Fängt er wieder an zu arbeiten und fährt zurück in den Betriebsmodus, bleibt oft nur noch ein schockierendes Geständnis:

„Was habe ich getan?!?“

 

Seinerzeit, damals, der Manöverthommy:

Was wäre wenn?

Uniform ausziehen und ans andere Ufer schwimmen? Mitten in der Nacht und mehrere Kilometer durchs kalte Wasser kraulen? Hätte ich es geschafft … dann an der nächsten Haustür klingeln? Schlotternd stottern: „Hi, ich bin ein desertierter Ex-Polizist, können Sie mich aufnehmen?“

 

Simson, der Kollege, lullte mich nicht mit

„warte auf das Wunder“ oder „es wird schon wieder“ – Sprüchen ein.

Er nahm seinen letzten Zug, schnippte die Kippe ins Wasser und sagte:

„Mach keinen Scheiß!“.

Dann drehte er sich um und verschwand in die Nacht.

 

Heute haben wir kein Problem damit, ALLE anstehenden Entscheidungen irgendwie und eigentlich und selbstverständlich fromm zu untermauern: da ein Vers, hier ein Eindruck, dort ein inneres Verlangen.

 

Seinerzeit, damals, Jesus und seine Feinde:

Die wollten von ihm wissen, was das aller-aller-aller-wichtigste Gebot überhaupt sei.

„Du sollst“, gab ihnen Jesus zu Antwort, „den Herrn, deinen Gott lieben – von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand!“

 

In allem, so Jesus, geht es in erster Linie um Gott. In zweiter Linie auch. Und in dritter … auch hier steht Gott an erster Stelle.

Diesen Gott lieben, der versprochen hat, für uns zu sorgen.

Diesen Gott lieben, der uns nicht vergisst.

Diesen Gott lieben, der uns liebt.

 

Keine Frage, es gibt Zeiten, in denen wir uns schwertun, an diesen göttlichen Wahrheiten festzuhalten. Da sind diese Tage, an denen immer noch kein Zettel vom Himmel fällt, auf dem unsere Traumvorstellung himmlisch abgenickt wird.

Momente, in denen unser Verstand in der Gefahr steht, sich abzuschalten.

 

Dann ist es gut, wenn ein Typ in unser Leben tritt und sagt: „Mach keinen Scheiß!“

 

In diesem Sinne …

   

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