sich selbst ghosten

Stell dir vor, du sitzt mit ein paar Freunden an einem runden Tisch. In deinem Lieblingscafé. Ihr unterhaltet euch, lacht laut, hin und wieder zündet sich jemand eine Zigarette an und bläst den Rauch in Richtung Sonnenmarkise.
Dann musst du aufs Klo. Du stehst auf, schiebst deinen Stuhl nach hinten, murmelst etwas von ‚kurz unterwegs‘ und fragst die nächstbeste Bedienung nach dem Weg zur Toilette.

Frage: 
Wie sicher kannst du dir sein, dass deine Freunde in dieser kurzen Zeit deiner Abwesenheit NICHT über dich herziehen? 
Dich NICHT auslachen? 
Ihre Mäuler sich NICHT über deinen Kleidungs-, Schmink- und Sprachstil zerreissen?!?

Genau so ging’s zur Sache. In Lörrach. In einem Straßencafé. Vier Ladies. Plus die bemitleidenswerte, die aufs Klo musste.

Wenn ich mir die „Über-Mich-herzieh-Frage“ stelle, würde ich am liebsten darauf antworten, dass so etwas nicht vorkommt; und falls, es mich sowasvon überhaupt nicht mehr juckt.
Ich unverletzlich bin, weil sich aufgrund der vielen Messer, die mir irgendwelche falschen Freunde im Lauf der Jahre hinterrücks in die Seele rammten, eine fette Hornhaut gebildet hat. 
Hätte hätte Viererkette.
Oder: Drecks Konjunktive.

Die Wahrheit ist: Es nervt. Es enttäuscht. Es verletzt. Es kostet mich Kraft, in den nächsten Wochen ein steifes Lächeln zu bewahren.
Denn: Jeder, der halbwegs die Gesichter der anderen lesen kann, weiß um den Verrat während des Toilettengangs. Und weil man Schiss hat, dieses blöde Verhalten offen anzusprechen, braucht’s dafür das „Botox-Lächeln“. 

Dann lieber sich selbst ghosten. 
Den Kontakt zu sich selbst abbrechen.
Die eigenen Gefühle ver-betonieren.

Und nun der Schlenker zu Jesus:
Gerne würde ich davon berichten, dass der Sohn Gottes zum gezielten Gegenschlag ausholt und den Schwätzern den Aussatz auf ihren kompletten Körper zimmert - wie seinerzeit der 
hintenrum-redenden Mirjam. (4. Mose 12 Vers 10)
Oder dass der Sohn Gottes meine Wunden mit einer kleinen Ansage heilt - so wie das Fieber bei Petrus’s Schwiegermutter. (Lukas 4 Vers 39)
Die verbalen Steinewerfer in ihre Schranken weist - wie damals bei der Aktion mit der Ehebrecherin. (Johannes 8 Vers 11)

Läuft. Nicht. So.

Wie so oft bin ich gefragt. 
Ich muss initiativ werden. Also: Stress, Diskussionen und ein vielleicht schmerzvoller Abschied von überheblich-falschen Freunden in Kauf nehmen. Plus diesen Mut, sich den Wellen der Ungerechtigkeit entgegenzustellen. 

Ist unangenehm. Kann heftig werden. Vielleicht auch laut. Und doch schützt mich ein solches Verhalten vor Selbst-Ghosting. 
Nicht ich breche den Kontakt zu mir und meinen Gefühlen ab, sondern nehme mich und meine Bedürfnisse ernst. 

Zurück in die Bibel:
Da hat’s Jesus auch erwischt: von Freunden enttäuscht. 
Petrus zum Beispiel: Der legt den Verleugnungshammer auf den Tisch und fängt an, seinen geliebten Jesus zu verfluchen. 
Auch die anderen Jünger zeigen sich nicht von ihrer freundschaftlichsten Seite: Den Todeskampf ihres Freundes verpassen sie absichtlich. 
Ganz zu schweigen vom Verräter Judas: Der hat ihn auf die Wange geküsst. Kuss für Kohle. Alles hintenrum. 

Mir verschließt sich die Gefühlswelt vom Sohn Gottes bei diesen ganzen Enttäuschungen. Immerhin: Er wusste das alles schon im Voraus: Der Gockel der kräht, den Verrat im Garten, das Verfluchen am Lagerfeuer. Er konnte sich drauf einstellen. Als es dann so weit war, war’s für ihn nichts Neues mehr.

Die meisten von uns haben keine solche prophetische Gabe. Für uns kommen diese Tiefschläge aus dem Nichts. Voll auf die Zwölf und ab auf den Boden. Der Ringrichter zählt schon an.  

Vor einigen Jahren gab’s bunte Armbändchen aus Plastik mit der Aufschrift „WWJD“ - eine Abkürzung für „was würde Jesus tun“.
Buntes Plastik als Erinnerung, die Botschaft von Jesus zu leben und zu bekennen.
Heutzutage sind diese Bändchen kaum noch unterwegs.
Deshalb müssen wir uns andere Erinnerungen schaffen, um nicht auf dumme pseudofromme Gedanken zu kommen. 

Jesus stand dazu, dass er der Sohn Gottes ist. Die Folge: Es kostete ihn das Leben.
Er forderte seine Nachfolger auf, sein Blut zu trinken und seinen Leib zu essen. Die Folge: Es gab nur noch Unfollower. Die Mutter aller Fragen stellte er den übrigen Zwölf: „Ihr auch?“ 
Jesus randalierte im Tempel. Er sprach mit Frauen und Kindern.
What would Jesus do? 
Sich nicht selbst ghosten. An seinem Auftrag festhalten. Missstände ansprechen. Wahrheit verkörpern.
Das würde Jesus tun.

Und wir? Und ich?
Wie gesagt: Das ist ganz schön unangenehm. Ich schaff’s auch nicht immer gleich auf Anhieb, ein klärendes Gespräch zu planen. Ich laufe im Kreis, starte das Kopfkino, schalte es wieder ab, verfrachte das Problem auf die lange Bank, hole es erneut zum Vorschein. Bis mir klar wird, dass es so nicht weitergehen kann. Nicht weitergehen darf. 
Dann suche ich mein Smartphone, schreibe eine WhatsApp, lese sie zehnhundertmal durch und ... drücke den Senden-Button. 
Weg damit.
 


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