Tal der Tränen

Manchmal ist es nur ein grauer Tag. Man steht auf, macht Kaffee, fährt zur Arbeit, redet mit Menschen – und merkt erst abends, dass man nichts gespürt hat. Keine Freude, keinen Sinn, nicht mal die Müdigkeit fühlt sich richtig an.

10. Juni 2025

Und dann gibt es die anderen Tage. Die, an denen etwas zerbricht. Ein Brief im Postkasten. Ein Arzt, der lange zögert, bevor er den nächsten Satz spricht. Er spricht von Blutwerten. Achtmal so hoch wie normal. Dazu sein Blick, den man nicht mehr erwidert bekommt.

Dann wird es still im Inneren.
Wir sitzen da – wie ausgetrocknet.
Wie ein Stück Land, das nur noch Wind kennt.
Eine Weile nur.
Bis die Tränen alles wegschwemmen.
Alles.

Psalm 84 spricht von einem solchen Ort. Kein Ort, an dem man sich freiwillig aufhält.
Und doch steht dort etwas, das fast paradox klingt: Dieses Tal wird zum Quellgrund:
„Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen.“
(Psalm 84,7)

Ein Quellgrund? – Das ist mehr als Wasser. Es ist ein Ort, an dem Leben neu beginnt. An dem Trockenheit endet. Wo etwas in der Tiefe aufbricht, das vorher nicht da war. Nicht sichtbar, nicht greifbar – aber da. Und das nicht durch Umwege. Nicht durch Flucht. Sondern genau an dem Platz, an dem wir unser Ende wähnen. Als würde ausgerechnet dort der Staub zum Ort der Verwandlung.

Vielleicht ist es genau das: Man geht weiter, obwohl man nicht mehr kann. Man spricht ein Gebet, obwohl man nichts mehr fühlt. Man bleibt in Bewegung, obwohl man stehenbleiben möchte.
Und irgendwann – nicht laut, nicht dramatisch – passiert etwas:
Ein Mensch sagt den richtigen Satz.
Ein Lied berührt.
Eine Textzeile bleibt hängen – und lässt sich von der Dunkelheit nicht verjagen.
Und was eben noch trocken war, beginnt zu leben.

Ein Tal bleibt ein Tal. Aber da ist auf einmal Wasser.
Ein Quellgrund, mitten im Staub.

Das ist der Segen, von dem Psalm 84 spricht. Nicht der Segen, der Dinge ungeschehen macht. Sondern der, der sie verändert, während man hindurchgeht. Nicht von außen, sondern von innen.

Und wenn dann der Regen fällt – nicht der große Sturm, sondern dieser erste, leise Frühregen – dann sieht man: Es wächst etwas.
Nicht trotz des Tals.
Sondern wegen des Tals.


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