Über den eigenen Schatten springen

Auf dem Gehweg verdreht sich Elias wie eine Pappel im Sturm: rechts, links, Kniebeuge, ein Schritt nach vorne, Arme ausbreiten, nach hinten hüpfen. Schon seit Minuten geht das so. Er testet immer neue Verrenkungen.

„Alles klar mit dir?“, rufe ich meinem Enkel zu.
Er nickt und hüpft dabei wie ein Hase nach vorne.
„Ich versuche, über meinen Schatten zu springen!“, nervt er in meine Richtung. „Aber ich schaffe das nicht!“

Dass er mit seinem Statement eine Tür in meine Vergangenheit aufreißt, kann er nicht wissen. Meine Güte, wie oft musste ich mir diese Aufforderung anhören: „Spring über deinen Schatten!“
Ein Statement, inflationär gebraucht, missbraucht, macht-missbraucht ... mir immer dann wie ein nasses Handtuch ins Gesicht gedrückt, wenn meine Entscheidung für oder gegen eine Sache zu lange dauerte. Oder: Wenn ich mir unsicher war. „Mensch, Thommy, spring doch über deinen Schatten“, musste ich mir anhören.

An alle, die diese Manipulation noch heute in ihrem Wortschatz führen: Das funktioniert NICHT! Niemals.
Kein Mensch kann über seinen Schatten springen.
Es geht. Nicht.

Dieses Statement wird gerne im Zusammenhang mit einer Lebensveränderung gebraucht; du sollst eine Entscheidung treffen, für die du noch nicht so weit bist. Beispiele? Kein Problem:
- jemand die Hand zur Vergebung reichen
- ein Leben mit Jesus beginnen
- Geld spenden
- eine neue Liebe starten

Immer, wenn dich dieses Statement erreicht, müssen in dir die Alarmglocken klingeln.
Es ist falsch.
Falsch gesagt, falsch gedacht, unter Druck gesetzt.

Und wie es der Zufall so will, entdecke ich, während Elias seine nutzlosen Bemühungen fortsetzt, auf Facebook dieses dumme falsche Statement eines Hobbypsychologen. Er behauptet: „Manchmal musst du über deinen eigenen Schatten springen, damit die Sonne wieder scheinen kann!“
Ah ja.
Frage 1: Wie? Über den Schritten springen, meine ich. Also: Wie?
Frage 2: Welche Sonne?
Frage 3: Wieso gibts Schatten, wenn keine Sonne scheint?
Alles klar.

Jeder der dich auffordert, über deinen eigenen Schatten zu springen, hat keine Ahnung.
Jeder, der das behauptet, muss dir zunächst erklären, warum er will, dass DU dich veränderst.

Tatsache: Veränderung ist extrem schwer. Du musst wissen, was auf dich zukommt; musst wissen, dass es dich an deine Grenzen führt - körperlich, seelisch, geistig. Und manchmal auch geistlich.
Du wirst dich mit dir und deinem Leben auseinandersetzen müssen. Dir werden Tränen über das Gesicht laufen ohne dass du sie stoppen kannst. Du wirst dich in deinem Leben umschauen und da wird so vieles sein, dass dich hindert, weitere Schritte zu unternehmen. Du wirst Tag und Nacht von dir wissen wollen, ob du genügend Power hast, alles bis zum Ende durchzustehen.

Kleine Rückschau: Da war eine Nutte. Sie kannte die Männer; wusste was zu tun ist, um Geld zu verdienen. Aber Geld macht nicht glücklich. Ganz abgesehen von gestammelten Liebesschwüren mit einer Halbwertszeit von drei Minuten.
Sie wollte das nicht mehr. Trotz der Kohle.
Hat hin und herüberlegt. Entscheidungen getroffen und wieder verworfen. Und dann ihr letztes bisschen Würde zusammengekratzt, um sich vor Jesus auf den Boden zu werfen.
Und der? Schickt sie nicht weg. Vergibt ihr die Schuld. Fordert sie zu einem Neuanfang auf, indem er ihr sagt: „Sündige hinfort nicht mehr!“

Festzuhalten bleibt: Veränderung ist möglich. Jederzeit. Immer. Doch das funktioniert nicht nebenbei - auch nicht mit Jesus. Der Sohn Gottes nickt nicht deine Pläne ab; cheerleadert nicht deinen Entschluss, dass du deine Lebensrichtung ändern willst. Vielmehr versieht er deine Entscheidung mit einer Aufforderung „Sündige ab sofort nicht mehr.“

Diese Ansage entzieht jedem dahergeredeten Lippenbekenntnis die Luft. Denn Veränderung beginnt im Kopf. Ist Ergebnis langer Überlegung. Und zu Beginn stand die Frage im Raum: Will und kann ich so weiterleben?

Deinen Schatten wirst du nie verlieren.
Du wirst nie über ihn springen können. Doch du bist der Bestimmer über deinen Schatten. Du gibst die Richtung vor, nicht ein nebulöses Schwarzes auf dem Asphalt.
Der schwarze Kerl dort muss dir folgen, wo du auch hingehst. Und wenn du hinter Jesus her bist, wird deinem Schatten nichts anderes übrig bleiben, als den gleichen Weg mit dir zu gehen.
In diesem Sinne: Gute Überlegungen.


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