Wenn das Leben sich selbst überholt
Manchmal scheint das Leben aus Listen zu bestehen: Noch einmal ans Meer. Ein Haus. Ein Kind. Irgendwann in den Anden stehen und sagen: Jetzt ist es geschafft. Als würde der Himmel uns kurz zu nicken. Wie zur Bestättigung.
Aber er nickt nicht.
Also starten wir zum nächsten Punkt auf unserer Liste. Und es ist wie immer… immer nur das Nächste. Ein neues Ziel. Ein weiterer Haken. Und am Ende ein Hunger, der nicht satt wird.
Das ist die Religion unserer Zeit: keine Psalmen, nur To-do-Listen; kein Gebet, nur der Wille, mehr aus sich zu machen. Man hält das für Leben, und doch ist es oft nur der Lärm, der schön klingt.
Dann kommt die Stille. Sie kündigt sich nicht an. Sie steht einfach da: zwischen zwei Terminen, in irgendeiner Nacht.
Und plötzlich weiß man nicht mehr, wofür das alles war.
Unsere Fotos beweisen, wo wir überall waren. Doch keines zeigt, wer wir dort waren.
Pink Floyd hat das schon 1973 auf ihrer LP „The Dark Side of the Moon“ besungen:
„Und dann stellst du eines Tages fest, dass zehn Jahre hinter dir liegen. Niemand hat dir gesagt, wann du loslaufen sollst – du hast den Startschuss verpasst.“
Es ist ein Song über das Rennen, das niemand gewinnt. Über ein Leben, das sich selbst überholt. Ein Lied über verspasste Chancen, eine unsinnige Lebensjagd, die Resignation am Ende des Lebens und die Lautstärke des Sekundenzeigers.
Die Bibel erzählt eine andere Geschichte. Nicht vom Erreichen, sondern vom Erkanntwerden. Nicht davon, wie weit jemand kommt, sondern wem er gehört.
Jesus sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Johannes 10,10)
Diese Fülle riecht nicht nach Abenteuer. Sie riecht nach Brot, nach Staub auf Krankenhausfluren, nach einem Flüstern, das niemand hört. Sie wächst leise, an Orten ohne Publikum.
Während die Welt ruft: Mach mehr aus dir, sagt das Evangelium: Du bist genug. Du bist geliebt, bevor du etwas tust.
Schwer zu glauben in einer Welt, die Lautstärke für Wahrheit hält. Doch Glaube misst Tiefe, nicht Dezibel.
Die Welt sagt: Hol dir, was du willst.
Gott sagt: Nimm an, was ich dir gebe.
Beides klingt nach Leben.
Aber nur eines trägt, wenn das Licht zu schwinden beginnt.
Denn es gibt ein Verlieren, das größer ist als verpasste Chancen. Ein Verlieren, das leise beginnt – nicht mit einem Knall, sondern mit einem Entfernen.
Der Himmel rückt weg. Das Herz wird kalt.
Man ruft – und niemand antwortet.
So fühlt sich das an, wenn jemand die Welt gewinnt und sein Leben verliert. Darauf hat Jesus schon hingewiesen: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben verliert?“ (Markus 8,36)
Kein Dunkel ist tiefer als das ohne Gott.
Keine Ferne weiter als die, in der die Seele niemanden mehr findet. Kein Frieren, das so weh tut.
Vielleicht beginnt „Sinn“ genau dort, wo das Rennen endet.
Wo der Atem ruhig wird. Wo jemand versteht, dass Leben mehr ist als Atem. Dass Ewigkeit nicht irgendwann beginnt,
sondern jetzt … in dem Moment, in dem man sich von Jesus finden lässt. Und dass der Takt des Lebens nicht vom Sekundenzeiger kommt, sondern von einer Hand, die hält.
Auch dann, wenn alles andere loslässt.