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Ausgetrickst

„Mama, der Noah hat heute in der Schule über den Tisch gekotzt.“

Finn (beide Namen sind frei erfunden - wobei, ich habe mich am Ranking der beliebsten Jungennamen im noch frischen Jahr 2023 orientiert …) schmeißt seinen Schulranzen ins Eck. „Unsere Lehrerin,“ redet er ohne Unterbrechung weiter, „hat im Klassenzimmer Eimer aufgestellt, damit, falls noch einer kotzen muss, nicht mehr über den Tisch, sondern direkt in den Eimer reihert.“

14. Februar 2023

Finn schaut in den Kühlschrank. „Was gibt’s heute zu essen, Mama?“

Am nächsten Tag sind Mama und Finn in der Stadt unterwegs. Sie treffen Noah. „Wie geht’s dir, Noah, bist du wieder fit?“, will Finn-Mama von ihm wissen. „Ausgetrickst, ausgetrickst!“ schreit Finn und lacht sich dabei kaputt.

Szenenwechsel.

Wir stehen beieinander. Sechs oder sieben unterschiedliche Typen. Einer berichtet über seine sehr bescheidene aktuelle Lebenssituation. „Was wünscht du dir von Jesus?“, fragt jemand es aus der Runde. Der Erzähler stockt, legt seine Stirn in Falten und überlegt kurz. „Wie meinst du das?“, will er endlich wissen. „Na, sag einfach Jesus, was du dir wünschst und dann vertrau!“, lächelt der Frager.

Mich schüttelt`s und ich denke an Finn; an seine ausgetrickste Geschichte. Was hätte ich tun sollen? Mich kaputt lachen? „Ausgetrickst, ausgetrickst“ brüllen? Dumm nur, dass mir überhaupt nicht nach Lachen war.

Ein klitzekleiner Blick ins Neue Testament räumt mit solchen Statements / Aufforderungen / Tricksereien auf. Da gibt’s tatsächlich eine Geschichte, in der Jesus einen Blinden nach seinem Wunsch fragt. Und der muss auch nicht lange überlegen. „Sehen will ich!“, ruft er und Jesus antwortet ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

Das Wunder geschieht: Der Blinde sieht.

Um aus dieser einen Begebenheit eine allumfassende, jeden betreffende, von meinem Glauben abhängige Heilungs-Wunschzusage zu formulieren … dafür ist (sehr) viel Fantasie notwendig.

Wie viel Glauben haben wir unser Leben lang in die fromme Waagschale geworfen? Für den richtigen Arbeitsplatz, den passenden Partner, die Verletzung am Knie, die Heilung des todkranken Kindes, dass die Freunde im Grenzgebiet zu Syrien nicht unter ihrem vom Erdbeben zertrümmerten Haus liegen?

Alle diese Wünsche sind mehr als berechtigt! Wir hoffen für uns, für die Familie, für Freunde. Wir wünschen uns Sicherheit und Glück; eine Zeit ohne Belastung und nicht diese an uns nagender Unsicherheit, wegen der wir nachts nicht schlafen können.

Wie sehr sehnen wir uns nach der einen göttlichen Frage: „Was willst du, das ich tun soll!“

Der heilige Gott ist keine Wunschfee und das Leben keine Erweckungsveranstaltung. Berge bleiben stehen und Meere trocknen nicht aus. Wünsche werden verwehrt und aufgestaute Hoffnungen zerplatzen. Blinde bleiben blind und Kranke werden kränker.

Und?

Ausgetrickst, ausgetrickst?!?

Nope. Nicht von Gott. Der hat nämlich nicht versprochen, dass wir schmerzensfrei und glücksgeladen hinein ins ewige Himmelreich gebeamt werden.

Viel zu oft sind wir es, die die Trickkiste öffnen und sagenumwobene Geschichten zum Besten geben. Da reihen sich (angeblich) glückselige Erfahrungen „mit dem Herrn“ wie Perlen an einer langen Schnur.

Ausgetrickst. Und wie.

Apropos „glückselig“ … unter werbetechnischen Gesichtspunkten macht Jesus alles falsch. Er sagt Dinge wie „Glücklich zu preisen sind die, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Oder: „Glücklich zu preisen sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Das sind die ersten Sätze in der Bergpredigt.

Jesus beendet die Predigt mit der Aufforderung, seinen Willen zu tun. Also nicht, was ich will und wünsche, ist Thema Nummer 1 im göttlichen Miteinander, sondern Jesus erwartet von seinen Nachfolgern das Gegenteil.

Diese Aufforderung muss verdaut werden. Großes Plus: Keiner schreit und lacht uns ein „ausgetrickst, ausgetrickst“ ins verdutzte Gesicht. Falsche Versprechungen hat er nicht nötig. Schließlich starb er für die Wahrheit.