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Darf ich aufs Klo?

Es klingelt. Ich renne die Treppe nach unten und reiss‘ die Türe auf. Zwei Zombies stehen vor mir. Weibliche Zombies. Zerfressene Gesichter und schwarze leere Augen. „Süßes oder Saures!“, krächzen sie und strecken ihre Hände nach mir aus. „Oder willst du, dass wir einen Zombie aus dir machen?“ Ich weiche einen Schritt zurück, mach’ das Spielchen mit und verspreche, mit einem Sack voller Süßigkeiten zurückzukommen. Schließlich will ich nicht zum Zombie mutieren.

Keine dreißig Sekunden später stehe ich wieder vor den Untoten. Sie wirken friedlich, fast peinlich berührt. Eine drückt ihr Knie gegen das andere. „Darf ich aufs Klo?“ druckst sie herum. „Erster Stock, rechte Türe“, sag ich und kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Sie schlüpft an mir vorbei und rennt die Treppe nach oben. Oh Mann, das war dringend…
Mit dem anderen Zombie quatsche ich über ihre Ausbeute; frag’ sie, was so los ist an diesem Abend… Smalltalk eben. Dann kommt die andere Untote schon wieder die Treppe herunter. Sie grinst. Ok, das passt nicht zu ihrer Bemalung, aber hübsch sieht’s trotzdem aus. Ein lächelnder Zombie. Sieht man selten.
Und das nur deshalb, weil ich sie bei uns auf Klo gelassen habe.
Die beiden ziehen weiter. Unten an der Straße angekommen winken sie noch einmal zurück. Nette Zombies. Dürfen gerne wiederkommen.

Schon witzig, wie vermeintliche Monster plötzlich menschliche Züge bekommen, nur weil sie ein dringendes Bedürfnis nicht zurückhalten können.
Oder: Selbst heftige Feinde müssen aufs Klo. Werden krank. Brauchen Hilfe. Fangen hinter Masken an zu lächeln.
Dann ist die Stunde der Barmherzigen gekommen:

„Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“

Als der weise König Salomo das seinerzeit in sein Merkbüchlein notierte, dachte er mit Sicherheit NICHT an Untote. Zumindest nicht die Hautfetzen, die vor unseren inneren Augen dahergekrochen kommen. Andererseits: Feinde können auch Monster sein. Damals wie heute.
Und seinerzeit wie gegenwärtig ist es – aus menschlicher Sicht – ein Unding, diesen Monstern mit Liebe und Barmherzigkeit zu begegnen. Feind bleibt Feind.
Dieses Statment mit den feurigen Kohlen und dem Haupt… kann man umschreiben mit „durch Freundlichkeit beschämen“.

Schon klar… einem handbemalten Zombie NICHT die Toilette verweigern ist das eine. Einem Monster, das einen zerstören will, Gutes zu tun – das ist Hardcore.
Und doch: Schon oft waren kleine Gesten ein Schritt zur Versöhnung.
Klo freigeben, Mittagessen bringen, Briefkasten leeren, nach Hause fahren. Barmherzigkeit als erster Schritt zur Versöhnung. Schwer, aber wenn’s passiert, mit nichts zu vergleichen.