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Das neue Land

Meine ersten Erinnerungen an seinerzeit? Damals, als der kleine Thommy M noch in Sichtweite der großen Stadt lebte (dort wo man alles kann außer hochdeutsch)?
Eine Episode schält sich aus dem Vergangenheitsnebel.

Wie ich auf solche Gedanken komme?
Daran ist meine superfromme Geschichtenerzählerin schuld. Die sah mit drei Jahren Gespenster und Fratzen durch die Wohnung schweben. Kein Scherz – in zehn Tagen ist die Story online.

Meine ersten Erinnerungen klammern sich an ein kleines unscheinbares Radio: doppelt so dick wie eine Schokoladentafel, vorne silber, hinten schwarz. Wichtigstes Teil: die Antenne. Nur mit der gelang es, den gewünschten Sender einigermaßen rauschfrei zu empfangen.
Das Radio gab’s (unter Protest der Eltern) von Oma zu Weihnachten. Mittwochabends versteckten wir beide uns unter meiner Bettdecke … das Radio und ich. Fünf nach acht kam meine Lieblingssendung: Hörer durften live anrufen und sich ihr Lieblingslied wünschen. Dazu erzählten sie kurze Geschichten, warum und weshalb sie gerade diesen Song so toll fanden.

Heute, ungefähr hundert Jahre später, würde ich sagen: Die Hörer wünschten sich Schlager (manchmal) und Volksmusik (häufig). Selten: Klassik.

Und jetzt kommt der Gamechanger:
Ein Anrufer wünschte sich einen Song, mit dem der Moderator offensichtlich Probleme hatte. Und das war dem kleinen Thommy M schon seinerzeit ganz klar: Dieser Typ, dieser Anrufer … der wollte etwas hören, was dem Moderator überhaupt nicht in seinen Musikkram passte.
Die beiden diskutierten, dann klickte es und der Hörer hatte aufgelegt. Es entstand eine kleine Pause … der Moderator suchte nach Worten und sagte dann in etwa: „Wir erfüllen die Wünsche der Hörer, also auch diesen.“
Und dann zog es den kleinen Thommy M in eine andere Welt.

Es kam ein Trommelwirbel, dann krachte eine verzerrte E-Gitarre im kleinen Lautsprecher und eine wahnsinns Frauenstimme sang in einer unbekannten Sprache.

Ich starrte auf die beleuchtete Sendeskala. Hielt das Radio in beiden Händen. Drehte das obere Rädchen an der rechten Seite auf volle Lautstärke – das war der musikalische Wahnsinn! Ein neues Land! Verborgene Strömungen – ein freier Fall, der rasante Aufstieg!

Wie lange ich im neuen Land unterwegs war, weiß ich nicht mehr. Denn plötzlich wurde die Decke weggerissen, meine Mutter stand über mir, konfiszierte MEIN Radio und verschwand wortlos aus dem Zimmer.
Egal. In mir wurde die Tür zu einer neuen Welt aufgestoßen.
Und ich wusste, was zu tun war: Das neue Land entdecken und in Besitz nehmen.
Noch bis heute bin ich unterwegs.

Mit dem Glauben an Jesus lief das ganz ähnlich ab:
Meine Konfirmation lag schon zwei Jahre zurück; das geschenkte Geld bereits verjubelt, die Kirche blieb für mich verschlossen. Nur an den besonderen Sonntagen betrat ich das Gotteshaus: Ostern und Weihnachten. Mit dem, was ich dort hörte, konnte ich gut leben: Mal etwas poppiger, dann klassisch und vor allem sehr volkstümlich.

Doch dann begegnete mir Jesus. Mitten im Alltag. Unerwartet.
Heute behaupte ich: Trommelwirbel kündigte ihn an, dann setzte die verzerrte Gitarre ein und eine Stimme, die mich bis heute nicht mehr loslässt, wischte sämtliche alte Vorstellungen in den Mülleimer.
Echt und kantig, herausfordernd, klar und deutlich. Es zog mich in eine andere Welt und in der bin bis heute unterwegs.

Im Lauf der Jahre kamen viele Leute, die mir das „Radio“ wegnehmen wollten; die behaupteten, dass man so nicht glauben kann, darf und soll.
Doch im Gegensatz zum kleinen Radio von damals gebe ich den Glauben nicht mehr her. Gottes Stimme hören, ihm folgen, mit ihm sprechen, in seiner Gegenwart sein, den offenen Himmel erleben … das ist alles andere als langweilig. Christ sein ist für mich ein Vorrecht; ein Land mit unbegrenzten Entdeckungsmöglichkeiten:
Weiten trotz Enge
Licht in der Dunkelheit
Frieden im Kampf des täglichen Alltags

Wer würde diesen lebendigen Glauben gegen eine vorgefertigte Schablone tauschen wollen?!?
Ich nicht.