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Denn sie wissen nicht, was sie tun

Unten auf der Straße brüllt einer. Das klingt ganz und gar nicht nach Singsang und Gefeier. Eher nach Schmerz und Schläge. Mindestens.

Ich öffne die Balkontür und schaue nach unten. Ein Typ liegt zwischen den Sträuchern, ein anderer kniet auf dessen Brust. Der mit dem Bodenkontakt wimmert, bettelt, versucht sich (erfolglos) zu befreien, brüllt wieder los und fängt schließlich an zu heulen.

Passanten bleiben stehen. Eine ältere Frau versucht sich einzumischen, verzieht sich aber dann doch wieder. Den nächsten Versuch unternimmt ein Radfahrer: Er steigt ab, macht ein paar vorsichtige Schritte in Richtung Schläger, wechselt ein paar Worte und fährt davon.

„Lass ihn los!“, schreien einige, „du tust ihm weh!“ Der Heuler dreht jetzt völlig am Rad: Er schreit und jammert, krächzt und winselt. Warum hilft ihm denn keiner?!?

Blaues Licht blitzt an den Häusern entlang. Der Streifenwagen kommt, heizt vorbei, dann blockieren seine Reifen. Zack in den Rückwärtsgang, das Martinshorn fängt an zu jaulen und der VW rast an den Tatort.

Jetzt wird’s komisch, denn der (angebliche) Brutalo winkt die beiden Beamten zu sich. Der Unterlegene kriegt den zweiten Atem: Er schafft es tatsächlich sich zu befreien, steht auf und läuft los. Zwei Meter. Vielleicht auch drei. Dann liegt er auf dem Teer und spürt den Arm des anderen um seinen Hals.

Die beiden Polizisten sind jetzt bei den Kämpfern. Keine fünf Sekunden später klicken die Handschellen. Der Unterlegene wird abgeführt.

Die Passanten trauen ihren Augen nicht. Der Böse ist der Gute? Und der Unterlegene der Böse? Dabei hat der doch so schlimm geschluchzt!

Und da schüttelt einer der Polizisten auch noch die Hand des Stärkeren?

Vom Balkon aus war die Sachlage klar und unmissverständlich. Und ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, dem armen Verprügelten da unten zu helfen. Wenn einer so rumheult, ist er unschuldig, oder etwa nicht?

Dass der aber gewaltig bluffte, um sich dem Polizeizugriff zu entziehen … darauf wäre ich nicht gekommen.

Ich habe also ansatzlos Partei ergriffen für das angebliche Opfer.

Nicht gut.

Dieses „Partei ergreifen“ läuft in unserem Land in großem Stil. Da wird demonstriert für Freiheit, Recht und Gesetz. Begriffe, die aufs erste Hören für Zustimmung sorgen. Auch bei mir.

Denn diese Grundrechte dürfen nicht aufgegeben werden.

Bei näherer Betrachtung melden sich Zweifel:

Welche Argumente nennen die Demonstranten?

Warum gewalttätig?

Wieso fliegen Molotowcocktails und werden Polizeibeamte verletzt?

Und: Warum unternehmen die Protestler einen Fackelmarsch vors Haus einer Politikerin? Wissen die nicht, was die Vergangenheit uns lehrt?

Ich will (immer noch) glauben, dass viele Nicht-informierte auf den Straßen unterwegs sind. Leute, die ihre sichere Balkonposition verlassen und sich der Demonstration gegen (angebliche) Politikerwillkür angeschlossen haben.

Wer mitläuft, verliert die Übersicht; die Urteilsfähigkeit über richtig und falsch. Angeblich „gesicherte Informationen“ machen die Runde. Parolen werden skandiert. Die Stimmung steigt. Eine Gruppendynamik löscht alle Vorsicht.

Nur vereinzelt verabschieden sich die Vorsichtigen. Und die werden ausgepfiffen.

Seinerzeit - bei Jesus - wurden die Massen bewusst gepusht. Die frommen Anführer wollten seinen Tod. Also machten erste Fake News die Runde. Innerhalb kürzester Zeit kippte die Stimmung und die Anführer zwinkerten sich zu. Draußen auf dem Marktplatz wollte das Volk den Tod von Jesus.

Warum?

Egal, der Typ muss sterben.

Es kam noch schlimmer: Die hirnlose Masse begnadigte einen Mörder.

Das Ende ist bekannt:

Jesus starb an den Folgen der Kreuzigung.

Der Mörder durfte wieder meucheln

und die frommen Meister hatten ihren Willen durchgesetzt.

Wir können unterschiedlicher Meinung sein. Gegen die Impfung, fürs Boostern, gegen manche Politikermeinung; für Spahn, gegen Lauterbach. Fakt ist: Menschen sterben an den Folgen der Pandemie.

Deswegen Polizisten verletzen? Fremdes Eigentum verschandeln? Freundschaften beenden?

Das ist unreif. Mindestens. Was die Polizistenkollegen betrifft: schäbig. Und jede Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung ist mehr als gerechtfertigt.

Wir können unterschiedlicher Meinung sein. Für Jesus, gegen den Glauben. Für den Papst, gegen den Papst. Glauben, was in der Bibel steht oder man lehnt das Gelesene ab.

Fakt ist: Menschen sterben. Irgendwann. Vertraue ich dem, was Jesus über den Himmel und das ewige Leben predigte, wird es für einen großen Teil der Menschheit nach dem Tod nicht witzig.

Deswegen andere verletzen? Beziehungen beenden? Hartnäckig auf die Hölle hinweisen und dabei die Liebe vergessen?

Das ist schäbig. Mindestens.

Wir leben und wir er-leben heftige, lieb-lose Zeiten.

Als Jesus damals am Kreuz hing, war seine Liebe stärker als Hass und Folter.

Er hätte seiner Engelsarmee befehlen können, dem Treiben ein Ende zu machen. Doch dann gäbe es für keinen von uns die Erfahrung der göttlichen Vergebung, des himmlischen Friedens und das Glück über den auf die Welt gekommenen Retter.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird in diesen Tagen proklamiert. Recht so. Doch setzt die Ausübung dieser Errungenschaft voraus, dass ich mir im Vorfeld Gedanken gemacht habe, was ich sage, was ich glaube und wem ich glaube.

Laut aufschreien und heulen, damit ich andere beeinflusse, ist Manipulation. Dann bin ich keinen Deut besser als der Typ in Handschellen.

Fake News geschickt gestreut machen dich zum Verbrecher.

Unterschiedliche Meinungen ertragen und dabei den anderen nicht bloßzustellen, ist biblisch. Göttlich.

Und: Es lässt den anderen stehen als das, was er ist: ein Mensch.

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