Der Geisterfahrer
Mir kam ein Geisterfahrer entgegen. Morgens um halb fünf.
Ein fetter Nebel verschluckte das Abblendlicht. Den rechten Begrenzungsstreifen konnte ich nur erahnen – nur ein paar Meter weiße Linie zur Orientierung. Sonst nichts.
Auf diesem Streckenabschnitt gab auch keine Gegenfahrbahn. Die wurde rechts um den Berg verbaut.
Ohne Vorwarnung spuckte der Nebelvorhang grelles Licht ins Fahrzeuginnere. Ein dunkler Golf heizte an mir vorbei und schon schloss sich die Nebelwand.
Das war ein Schock!
Mein erster Gedanke: Bin ICH der Geisterfahrer? Bin ICH auf den falschen Zubringer abgebogen? Bringe ICH Menschenleben in Gefahr?
Ohne Übertreibung: Dieses Wetter bringt dich dazu, deine Orientierung komplett zu hinterfragen oder noch schlimmer: zu verlieren.
Bei klarer Sicht ist alles wie immer. Du kennst jede Unebenheit, kannst die kommenden Ausfahrten auf hundert Kilometer auswendig aufsagen, weißt, wann dich der nächste Mäckes mit seinem Kaffee erwartet. Aber im Nebel?
Null und gar nichts.
Sollte ich die Polizei anrufen und einen Falschfahrer melden.
Was, wenn ich derjenige welche bin?!?
Mich selbst anzeigen?
Ich fuhr rechts ran und schaltete das Warnblinklicht ein. Ich musste überlegen.
Wie im Film checkte ich meine Lage und sprach laut in den Rückspiegel:
„Du bist auf der Autobahn. Da kam einer entgegen. Auf deiner Spur! War das meine Spur? Rechts fahren, du musst rechts fahren! Soll ich umdrehen? Welche Ausfahrt?“
Als ich „Ausfahrt“ sagte, dachte ich an die blauen, großen Hinweistafeln. „Wenn“, rief ich mir in Erinnerung, „wenn ich richtig fahre, MUSS das nächste Schild auf der rechten Seite stehen!“
Ich fuhr langsam weiter.
Schon nach kurzer Zeit stand’s vor mir: RECHTS! Groß und blau mit reflektierenden Buchstaben. Im gleichen Augenblick warnte der Verkehrsfunk vor einem Falschfahrer.
Der Typ! Der Golffahrer! Nicht ich!
Wahnsinn! Meine erste (und einzige) Geisterfahrerbegegnung.
Unser Leben kann safe, lichtblau durchflutet mit Regentagen im Gepäck auf dem Zeitstrahl dahinwandern.
Für Notfälle haben wir die passende Versicherungspolice im Täschchen und bei Bedarf spannen bezahlte Schutzengel ihr riesiges Fangnetz unter uns aus.
Denken wir. Hoffen wir.
Und doch sind wir nicht immer der Chef über Links und Rechts, oben und unten. Einsetzende Panik betoniert unseren Verstand an die (Gehirn-)Wand und wir drehen uns orientierungslos im Raum.
Keine Ahnung, welche Tipps dir der freundliche Guru, der laute Motiviationstrainer oder ein wissender Preacherman gibt.
Atemtechniken helfen sicher weiter, um nicht völlig abzudriften.
Sich auf seine eigenen Fähigkeiten zu besinnen ist auch nicht das Schlechteste.
Und zu Gott schreien … das mache ich auch.
Genau genommen praktiziere ich alle drei Angebote.
Die schwierigste Herausforderung dabei?
Eingestehen, dass ich die Orientierung verloren habe.
Den Mut zum Anhalten aufbringen.
Ertragen, dass andere an mir vorbeiziehen.
Erkennen, dass alle Fäden, mit denen ich mein Leben im Griff hatte, verschwunden sind.
Tief atmen, Angstschweiß trocknen, entkrampfen.
Ist Puls und Seele wieder im orangenen Bereich, kommt der nächste Schritt: Reflektieren.
Und schließlich: In Bewegung setzen. Langsam vorwärtstasten. Mit eingeschaltetem Warnblinklicht, das signalisiert: Ich bin noch nicht wieder fit!
Ist das nicht peinlich? Ich, der Superhero, mit eingeschaltetem Warnblinklicht?!? Gibt’s da kein kurzes, heftiges Gebet plus dicker Spende und der Himmel reisst wieder auf?
Nope.
Vielmehr: Ich kenne keins.
Manche fetten Nebelwände im eigenen Leben kündigen sich an. „Da kommt was auf uns zu“, sagen wir leichtfertig. Wer klug ist, reagiert im Vorfeld darauf.
Andere bauen sich in Sekundenschnelle auf und ziehen uns in ihre Dunkelheit.
Und welche Rolle übernimmt Gott dabei?
Er lässt sich mit in dieses Gewaber und Durcheinander, in Finsternis und Geisterwelt hineinziehen. „Ich bin immer bei dir!“, verspricht Jesus in der Bibel. Das gilt für Fernsicht-Tage und die anderen auch.
Gut möglich, dass diese Wahrheit in Vergessenheit gerät, weil sich der Verstand im starren Panikmodus befindet.
Deshalb: rechts rausfahren, anhalten, tief atmen und dich an das erinnern, was bis jetzt dein Leben bestimmt hat.
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