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Der Gerichtssaal in meinem Kopf

„Erheben Sie sich!“
Die Stimme vom Gerichtsdiener klingt wie die von Saruman aus „Herr der Ringe“. Die schwarzen Türen schwenken nach hinten und der Richter betritt den Saal. Er nickt ins Publikum und das Volk setzt sich. Über seine randlose Brille starrt er auf den Angeklagten und der weiß spätestens jetzt: Das wird nichts mit dem Freispruch.

Der Angeklagte? Unsereiner. Schon wieder. Zum hundertsten Mal verhört, gedemütigt, verurteilt. Und immer wegen desselben Vorfalls. (Fast) täglich grüßt das Murmeltier.

Diese Szene gibt es nicht in echt. Vielmehr spülen unsere Erinnerungen die Vergangenheit in unsere Gegenwart und schon geht’s wieder los: „Erheben Sie sich!“

Wir agieren als Angeklagter. Sind gleichzeitig Richter, Staatsanwalt und Zeuge. Wir sind gegen uns. Wahnsinn, oder?
Dabei ist die Anklage durchaus berechtigt: Körperverletzung, Abtreibung, Ehebruch, Diebstahl, schwerem Identitätsverlust durch Pornographie, Bandenkriminalität unter frömmelndem Deckmantel, Verrat, Überheblichkeit, Zerstörung Minderjähriger und und und und und…

Was hilft? Oder: Wer hilft?
Schon klar: Eine Portion Jesus und die Vergangenheit ist ausgelöscht.
Really? Natürlich nicht.
Ein deutliches Handzeichen in abgedunkeltem Saal? Im Sinne von „ja, Jesus, du machst mich neu und ich gehe in eine wunderbare Zukunft?“ Never.
Eine dritte Variante: „Deine Schuld ist auf dem Grund des allerallertiefsten Meeres. Lass sie dort!“
!?!

Wir alten (Glaubens-)Hasen wissen doch aus leidvoller Erfahrung, dass solche Statements sich zwar gut anhören, doch die Vergangenheit ist eine linke Bazille. Während wir noch andächtig aufs allerallertiefste Meer starren, duckt sich die Bazille schon zum finalen Sprung, um uns in ebendieses tiefe tiefe Verzweiflungsmeer zu stürzen. Ich sehe schon die Bibelkenner vor mir. Sie wedeln mit dem Alten Testament und drücken ihren Zeigefinger ins Buch Micha. Kapitel 7. Gelber Textmarker auf schwarzen Buchstaben. Ok. Zwei von fünf Sternen.

Nochmals zurück zur fiktiven Gerichtsverhandlung. Tatsache Numero 1: Das Gebäude hat keine Türen. Soll heißen: Wir könnten die Scheinveranstaltung jederzeit verlassen. Selbst wenn wir den Richter als einen bestechlichen Drecksack titulierten, würde uns kein Mensch daran hindern, pfeifend und erhobenen Hauptes aus den fiktiven Hallen zu verschwinden.
Tatsache Numero 2: Wäre das so einfach, würden wir nicht darunter leiden. Deshalb brauchen wir einen Beistand. Einen, der uns raushaut. Und nun kommt Jesus tatsächlich ins Spiel äh in die Verhandlung. Zur Erinnerung: Das Gebäude kennt keine Türen.

Und jetzt wird’s wirklich hart. Schmerzhaft. Tränenreich. Schuldbewusst. Beschämend. Und: eine Entscheidung fordernd. Denn Jesus möchte von uns hören, auf wen oder was wir uns eingelassen haben. Offen, ehrlich, rücksichtslos. Er will wissen, wie wir zu dieser Tat stehen; fragt nach, wie es dazu kommen konnte. All das darf uns nicht davon abhalten, diese eine letzte Frage zu stellen: „Kannst du mir vergeben?“ Oder eine letzte Bitte zu formulieren: „Vergib mir meine Schuld!“
Ohne Frage keine Antwort.
Ohne Bitte kein Geschenk.

Schuld, Sünde, Sühne, Vergebung. Ganz unbequemes Vokabular. Aber Jesus kann mit einem Wischi-Waschi-Gemurmel genauso wenig anfangen wie der Richter vom Oberlandesgericht.

Jesus bekommt keinen roten Kopf, wenn wir ihm unsere Schuld bekennen. Er dreht sich nicht angewidert zur Seite; unterdrückt den Brechreiz; geht in die Knie; hält sich die Ohren zu und schreit; er muss auch nicht unters Sauerstoffzelt. Jesus ist hart im Nehmen. Er hat mehr gesehen und erlitten, als wir uns jemals vorstellen können.

Wer dem Sohn Gottes seine Schuld bekennt, dem vergibt er. Komplett. Ganz und gar. Dafür ist er gestorben. Seinerzeit. Blut vergossen. Seinerzeit. Auferstanden. Seinerzeit. Zurück aus dem Tod vergibt er denen, die ihn darum bitten. Bis heute. Und bis in alle Ewigkeit wird dieses Statement nichts von seiner Sprengkraft verlieren: „Ich vergebe dir. Geh zurück ins Leben und sündige nicht mehr.“

So. Und nun liegt’s an uns. Wieder einmal… Dieser Gerichtssaal ohne Türen löst sich in Luft auf, wenn wir auf Jesus sehen. Wenn wir ihn ernst nehmen. „Täglich grüßt das Murmeltier“? Die Story ist Fiktion. Wie dieser Gerichtssaal in unserem Kopf. Beides können wir abschalten.