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Du nervst nicht.

Es ist Donnerstag Morgen und ich starre auf den Schnelltest vor mir.

01. November 2022

Der rote Balken oberhalb des „C“ zwinkert mir zu. „Du hast es geschafft“, scheint er zu flüstern, „du bist wieder clean!“

Seit elf Tagen liege ich sowasvon flach. „Wenn du Corona hast“, empfahl mir mein Freund am ersten Krankentag, „dann trink’ ein paar Gläser Rotwein und relaxe“.

Das klingt gut. Aber nur dann, wenn sich Nebenwirkungen im Nachbarskörper austoben.

Haben sie nicht.

Schon komisch, welche Vorstellungen man sich im gesunden Zustand über Krankheitsverläufe macht. „Sollte ich mal Corona-positiv sein“, philosophierte mein gesundes Hirn, „dann hast du viel Zeit zum Lesen, Schreiben und Netflixen.“

Schöne Rede Mann.

Es ging gar nichts.

Und jetzt bin ich also wieder clean. Die freundliche Dame im hellgrünen Schutzanzug an der Schnellteststation wünschte mir alles Gute. Ungelenk streckte ich eine Pralinenschachtel und ein Päckchen Kaffee aus dem Fenster. Sie lächelte und drückte mein Geschenk an ihre Brust.

Als mir vor elf Tagen der Schnelltest die beiden Balken präsentierte, hielt ich das für einen Irrtum. „Kann nicht sein“, dachte ich, „da läuft was falsch … meine Woche ist verplant und Corona hat hier nichts zu suchen.“ Ich schob einen weiteren Test hinterher.

Wieder zwei Balken.

In der Nacht meldeten sich die ersten Symptome:

Fieber, Husten, Halsschmerzen.

Morgens hatte ich das Interesse an meinem Terminkalender verloren.

So schnell verschieben sich die Prioritäten.

Einen Tag später scrollte ich müde durchs Neue Testament. Mein Finger bremste den Römerbrief ab, vor mir stand die Message aus Kapitel 11 Vers 34: „Hat jemals ein Mensch die Gedanken des Herrn ergründet?!?“

Aha.

Das klingt nach einer rhetorischen Frage und die Gefahr besteht tatsächlich, dass der Leser viel zu schnell und viel zu gedankenlos sein „Nein“ in Richtung Himmel brüllt: „natürlich nicht; hat nicht; ist nicht“.

Fertig.

Erwartet Gott gedankenlose Antworten?

Will er gehört werden ohne Gegenfrage?

Schmettert er Rückfragen ab?

Gehört zu seiner Konversation das Stilmittel einer unechten Frage?

Nervt ihn mein Gejammer?

Definitiv nicht.

Warum ich das weiß?

Weil er uns „geliebte Kinder“ nennt - und schon diese Tatsache entzieht rhetorischen Fragen ihre Daseinsberechtigung.

Zwei Balken nach einem Corona - Test? Es gibt weitaus Schlimmeres. Und doch reicht’s aus, dem Schöpfer dieser Welt ein paar Fragen zu stellen.

Dass der sich die Zeit nimmt, mir einen Krankenbesuch abzustatten … dass er mich und meine Fragen ernst nimmt und mir dabei noch ein paar „unergründete Gedanken“ erklärt … das ist mehr, als ich mir erhofft habe.