Engel unter uns
Ausgangssperre gibt’s (noch) keine, deshalb schnell an die frische Luft, bevor der warme Weihnachtsregen fällt.
Ich komme an einer kleinen Kirche vorbei.
Die schwere Holztür wird aufgestoßen und ein genervter Achtjähriger stapft ins Freie.
Er diskutiert mit sich selbst. Hin und wieder kann ich das Wort „Engel“ verstehen. Die Tür öffnet sich ein zweites Mal und seine Eltern erscheinen im Licht. „Jetzt warte doch, Schatz!“, ruft Mama und schüttelt ihren Kopf.
Doch „kleiner Schatz“ denkt nicht daran. Er rennt durch den Dreck, bleibt am Gartentor stehen, stemmt seine Hände in die Hüften und schreit: „Engel fliegen, die laufen nicht!“
Aha. Ein theologischer Disput. Oder sowas in der Art.
Papa grinst und schweigt. Mama versucht zu beruhigen. „Engel haben doch auch Füße!“, wirft sie in den Diskussionsring. Das ist kontraproduktiv, denn jetzt hat sie’s endgültig vergeigt. Der Kleine jault auf, läuft los, direkt auf mich zu.
„Na ja“, gebe ich ihm vorsichtig zu verstehen, „genau genommen müssen Engel doch beides können, oder?“
Der Kleine starrt mich an.
„Sie fliegen!“, ruft er nach einer kurzen Schrecksekunde.
„Beides“, antworte ich kurz.
„Fliegen“ grummelt er.
Fehlt nur noch, dass er mit seinem rechten Fuß stampft und die Wiese zum Schwingen bringt.
Wir hören Mamas Singsang: „Siehst du!“
Falsche Antwort. Der Kleine dreht sich weg und rennt davon.
Schade, ich wollte ihm noch eine Geschichte erzählen; dass es Engel heute noch gibt – dass ich schon himmlische Boten gesehen / erlebt und mit ihnen gesprochen habe.
Vermutlich wäre er enttäuscht gewesen, denn die Engel, die mir begegneten, hatten keine Flügel. Ebenso verzichteten sie auf ihre himmlische Uniform und am Gürtel baumelte kein Jedi-Schwert.
Sie sahen aus wie Menschen und waren doch nicht von dieser Welt. Sie tauchten auf, halfen in schwierigen Situationen und waren plötzlich weg. Einfach verschwunden.
Kein Witz. Kein Geflunker. Alles wahr!
Seinerzeit … damals … beim ersten Weihnachten … da ließen sich auch Engel sehen. Nicht inkognito, sondern mit Flügeln, Hemden und Gesang. Dazu eine Message, die es in sich hatte.
Die Hirten, Zeugen der himmlischen Offenbarung, erzählten davon ihren Familien, Freunden, Kumpels. Deren Reaktion darauf ist nicht übermittelt. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass die Hirtenzeugen riefen:
„Ey, kein Witz. Kein Geflunker. Alles wahr!“
Damals wie heute lautet die Message der Engel: „Jesus ist da, er ist euer Retter und hat euch nicht vergessen!“
Diese frohe, geniale und in nichts zu toppende Message wird auch im 21. Jahrhundert in alle Welt getragen. Inwieweit dabei die himmlischen Heerscharen involviert sind, weiß ich nicht.
Sicher ist allerdings, dass Jesus nicht möchte, dass wir diesen Job den Engeln aufs Auge drücken, sondern selbst aktiv werden. Die, die die Liebe Gottes erfahren und erleben, sollen selbst bezeugen. Dazu kann man Worte benutzen, kleine oder große Taten vollbringen oder an einem Sonntagnachmittag einem genervten Kirchgänger Paroli bieten.
Und wer weiß … vielleicht sagt in zwanzig oder dreißig Jahren ein nicht mehr ganz so kleiner Junge, dass ihm als Kind ein Engel begegnet sei. Vor einer Kirche. Ohne Flügel, aber die Frisur hätte gepasst.