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Erste Liebe

Zwei Fast-Teenies hüpfen durch die Wiese. Sie lachen, halten Händchen, schauen sich an, die Lady reißt sich los und rennt durchs Gras in Richtung Hochsitz. Der Junge wackelt mit dem Kopf, trabt im lockeren Schritt, besinnt sich eines besseren und beschleunigt. Fast gleichzeitig kommen die beiden am Jägerstand an. Sie fallen sich in die Arme und drücken sich fest. Leute… genau so ist die junge erste Liebe!

Kurze Zeit später auf gleicher Strecke:
Eine Frau zieht den Hund hinter sich her. Ihre Mundwinkel stoßen aufs Kinn. Der braune Anorak unterstreicht ihre miese Stimmung. Links von ihr -plus drei Meter Sicherheitsabstand-schlurft grummelnd ihr Lover.
Nicht der Erste.
Vermutlich hat sichs mit ihm bald ausgelovert. Er wird es nicht in den Recall schaffen.
Vielleicht parshipt sie sich zügig einen Nachfolger. Ob sie mit dem dann verliebt durch eine nasse Wiese rennt … eher nicht. Prostataentzündung, dreckige Schuhe, nasser Hund … es gibt genügend Entschuldigungen für ein euphorieloses Leben.

Erste junge Liebe. Schon klar … wenn man dreißig oder noch mehr Jahre verheiratet ist, rennt keiner mehr durchs hohe Gras. Alles gut – muss man auch nicht. Aber hast du schon mal ein altes Ehepaar beobachtet, wie sie in der Öffentlichkeit sich ihre Liebe durch kleine Gesten und Geblinzel wortlos zuflüstern? So genial und nachahmenswert!
Mit achtzig muss (oder kann) keiner mehr durchs hohe Gras hüpfen, um dem anderen seine Liebe unter Beweis zu stellen. Nach so vielen Ehejahren ist die Liebe tiefer und größer als in den vielen Jahren zuvor. Man spürt, was der Partner denkt. Hofft, dass es ihm gut geht. Ist dankbar für die Nähe. Sorgt sich um ihn, wenn er leidet.

Alles Theorie?
Natürlich nicht.

Eine Wunschvorstellung?
Könnte man meinen – beim halbwegs wachen Blick in unsere Zeit.

Die Bibel weiß über die „erste Liebe“ Bescheid.
Im letzten Abschnitt des Buches finden sich Beurteilungen über christliche Gemeinden und deren Mitglieder, die – vorsichtig formuliert – nicht die volle Punktzahl einfahren. Manchmal ist in den Worten die Trauer des Sprechers herauszuspüren. Besonders bei dem Satz: „Ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast!“*

Nein – der hier spricht, will keine Scheidung.
Der Engel, aus dessen Mund diese traurige Botschaft kommt, macht eine Bestandsaufnahme: „Ihr habt eure erste Liebe verloren.“

Zum besseren Verständnis: Die damals Angesprochenen tanzten nicht in fremden Göttertempeln.
Das Engelsurteil galt den standhaften, gegen den Bösen kämpfenden, Lügner entlarvenden, missionierenden, in alledem nicht müde gewordene Christenmenschen.

Aber: Alles ohne Liebe.
Oder: Lieb-los.
Bedeutet: Sie haben funktioniert. Ihr Programm abgespult. Sie waren aktiv ohne eine liebevolle Beziehung zu ihrem Gott.

Natürlich,
ein solcher Aktionismus schafft volle Terminkalender.
Er holt sich Bestätigung von außen.
Da wird geschafft um des Machens und um der Macht willen.
Positive Rückmeldungen sind das Ziel. Die Mindmap ist auf Wachstum ausgerichtet. Prozesse stehen im Vordergrund.
Da bleibt keine Zeit für romantische Liebesbekundungen.

Die angesprochene „erste Liebe“ … die sehnt, hofft, denkt, hilft, tröstet … die die Nähe des anderen herbeiwünscht … die hat in dieser geschäftigen Gemeindewelt keinen Platz.

Jesus beklagt diesen Missstand. Er will und wird nicht in einer solchen Beziehung leben. Einer Beziehung, in der er – salopp formuliert – liefert. Aber seine Liebe läuft ins Leere. Wir haben zu viel um die Ohren, um dieses Manko überhaupt zu bemerkten.

Das ist in unseren Beziehungen (oft) auch nicht anders:
Viele Paare geraten nach zwanzig oder noch mehr Ehejahren in heftige Turbulenzen. Ohne große Vorwarnung drückt ein Orkan ins Leben. Man fällt sich auf die Nerven; ist sprachlos; sieht die Fehler des anderen wie noch niemals zuvor; streitet; heult; versöhnt sich wieder.
Zwei Stunden später bringt der nächste Sturm das wacklige Ich-hab-dich-doch-lieb-Konstrukt zum Einstürzen.
Gestern noch die leichteste Übung – heute bringt der kleinste Funken das (Ehe-)Gebäude zum Explodieren.
Lange lässt sich dieser Zustand nicht durchhalten.
An was liegt das?

Themen, Probleme und Nöte, die gestern noch besprochen, bekämpft, beurteilt werden mussten, haben sich verabschiedet.
Die Kinder sind aus dem Haus.
Besuche beim Arzt werden häufiger und heftiger.
Träume platzen.
Lethargie breitet sich aus.
Statt eines zweiten Frühlings hockt man mitten im November.

Wo und wann blieb denn die Liebe auf der Strecke?
Die Ursachensuche fällt schwer. „Hat sich so ergeben“, sagt man dann.
Oder: „Das Leben hat keinen Platz für Romantiker!“
Echt jetzt?

Ist das auch so mit unserem Glauben?
Hat hier die gemeinsame Zeit auch keinen Platz? Hören aufeinander? Herz ausschütten? Vor lauter Freude jubeln?
Nicht mehr da?!?

Angenommen, in diesem Augenblick stünde ein Engel vor dir und behauptete: „Deine erste Liebe ist Vergangenheit…“ – würdest du ihm recht geben?

Welche Bilder tauchen – jetzt beim Lesen – von früher auf? Seinerzeit, als du Jesus kennenlerntest …
… welche Mauern wolltet ihr gemeinsam einreißen?
… welche neuen Wege finden?
… was hast du ihm alles versprochen?

Stop!
Bevor du komplett abstürzt – solche Versprechen waren der Startschuss hinein in den Aktionismus, den du heute lebst.

Liebe, auch die göttliche Liebe ist for free.
Wegen dir. Du wirst geliebt, weil du bist.
Solltest du anfangen, deine unschönen Eigenschaften aufzuzählen – spar dir die Luft.
Du bist geliebt. Punkt.

Liebe stört sich nicht an einem alten Pullover, den man schnell übergezogen hat, um mit dem anderen auf dem Sofa sitzend zu reden, zu lachen, zusammen zu sein,
Liebe erträgt auch die Wuschelfrisur oder das unrasierte Kinn.
Liebe lacht über die Küchenschürze, an der mehlverschmierte Hände abgeputzt werden.
Liebe vermisst den anderen schon dann, wenn die Haustür ins Schloss fällt.
Liebe … findet im Alltag statt.
Und schließlich:
Liebe und Aktionismus können nie nebeneinander bestehen. Einer von beiden gewinnt die Oberhand.

Es gibt Lebensabschnitte, in denen Kopf und Herz nicht miteinander können. Zeiten also, in denen wir funktionieren, um zu überleben. Da ist es fast unmöglich, mit dem oder der Geliebten im „guten alten Pullover“ auf dem Sofa hockend den späten Tag der anbrechenden Nacht anzuvertrauen.

Leider passiert es viel zu schnell, dass man sich an diesen Überlebensmodus gewöhnt. Ja mehr noch: ihm die Vorherrschaft im Leben einräumt.

Deshalb kam der Engel. Seinerzeit.
Deshalb stehts in der Bibel. Für heute. Für uns.

Die Engelsaussage rührt mich an. Weil ich die Not des Verkündigers spüre. Sein Flehen, doch den Aktionismus in die Wüste zu verbannen und erneut den Weg zurück zur ersten Liebe zu finden.
„Tut Buße“ spricht der Engel.
Leute, diese beiden Worten bringen den Schmerz von Jesus aufs Papier!
Er leidet unter unserer Sprach- und Lieblosigkeit.
Jesus möchte mit uns an den Anfang zurück.
Das sagt alles über ihn aus.

Seine Liebe zu uns ist noch genauso jung und frisch wie seinerzeit … damals, als wir noch wie Teenies durchs hohe Gras hüpften und vor lauter Glück nicht wussten, wohin mit unseren Gefühlen.

Es ist Zeit, umzukehren.
Da wartet einer auf uns.
Händeringend!

*Neues Testament, Buch der Offenbarung, Kapitel 2 Vers 4
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