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Es gibt doch noch jemand, der mich liebt!

Wenn wir mit dem superfrommen Mobil zum ersten Mal auf einen Campingplatz fahren, schauen uns die Camper hinterher. Das liegt zum einen daran, dass Camper immer wissen wollen, wer da mit seinem Mobil oder Wohnwagen die schmale Teerstraße entlangzuckelt.

Fragen wie „was haben die für ein Gefährt?“ oder „wie sehen die denn aus" oder „hoffentlich halten sich diese Hippies auch an die Nachtruhe“ verlangen nach Antworten - schließlich hängt davon das eigene Wohlergehen und das der gesamten Platzgemeinschaft ab.Hinzu kommt, dass die riesig schwarzen superfromm-Schriftzüge auf unserem Mobil ganz und gar nicht zur völligen Klärung ihrer Fragen beitragen - also starren sie uns hinterher, so lange, bis wir die Parzelle erreichen, die wir für die nächsten Tage unsere Heimat nennen.
Ende August war es wieder so weit: Campingplatz, Schranke hoch, Parzelle suchen, stumme Blicke gepaart mit Zweifel, ob und wie der langhaarige Typ sein Mobil rückwärts einparkend aufs angemietete Rechteck kriegt. Unser neuer Nachbar stand mit nacktem Oberkörper in der Sonne und verfolgte aufmerksam jede meiner Bewegungen hinterm Lenkrad. Als ich ausstieg, winkte er mir zu. Alles klar. Prüfung bestanden.


Am nächsten Morgen erwartete er mich schon. "Ich habe deinen Kanal gefunden!", sächselte er und zeigte auf den QR-Code, der auf der Rückseite des Mobils aufgeklebt ist. Er sprach von unserem superfrommen Channel auf YouTube. Dort, wo Hunderte von Geschichten zu sehen sind. "Und, hakte ich nach, "wie war's?" Zugegeben, das ist und bleibt eine blöde Frage. Doch zu meiner Verteidigung sei gesagt: Kurz nach acht Uhr in der Früh bin ich noch nicht gesprächig; und: Mein Körper wünschte sich auf die Toilette. "Hat mir sehr gut gefallen, wirklich!", rief mein Nachbarcamper und streckte seinen Daumen in die Luft. „Wirklich! Echt!“ "Super!", sagte ich schnell, hob die Hand zum Gruß und ließ den freundlichen Mann vor seinem Wohnwagen alleine zurück. Das war zwar nicht gerade höflich, doch just in diesem Augenblick gab’s tatsächlich (viel!) Wichtigeres zu erledigen.


Am Abend sahen wir uns wieder und wir machten das, was alle Camper lieben: Erzählen. Die Nacht über sich hereinbrechen lassen. "Deine Sendungen sind wirklich gut!", griff er das Thema von heute Morgen noch einmal auf. "Weißt du," sagte er schnell, "ich glaub’ auch an den da oben!" Er zeigte hinauf in den Himmel, an dem immer mehr Sterne ihre Beleuchtung anknipsten. Fast hatte es den Anschein, als ob sie unser Gespräch belauschten - das Firmament über uns glitzerte und funkelte und beinahe sekündlich setze sich ein neuer Stern in die erste Reihe. „Ich habe meine Frau vor dreizehn Jahren an Krebs verloren." Mein Platznachbar hielt sich an der Sturmverspannung fest. "Sie wollte noch einmal ans Meer. Ich habe sie ins Auto gepackt und dann fuhren wir los. Drei Tage später war sie tot." Jetzt schwieg er. Und weil in solchen Momenten das Mitschweigen viel besser ist als jeder Kommentar, stellten wir das Reden ein. In meiner Fantasie stand ich mit ihm am Strand; ich stellte mir vor, wie er seine Frau ans weite Wasser karrte und die ihre letzten Haare dem Sturmwind anvertraute; wie sie die Gischt in sich aufsog und dachte: „So, jetzt kann ich sterben". Ich hatte ihn nicht gefragt, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag; in der Zwischenzeit hatte er seine Stimme wieder gefunden und sprach von "dem da oben", von den Sendungen und auch ein bisschen von seiner Vergangenheit.


Am nächsten Morgen war ich es, der auf ihn wartete. "Ich hab noch was für dich!", rief ich eine Spur zu laut und winkte ihm zu. "Gomm gleisch", tönte es aus dem Vorzelt. Als er vor mir stand, überreichte ich ihm LOST. Das Kurzgeschichtenbuch. "Hab’ ich geschrieben," sagte ich. „Da geht’s um Jesus und das Leben. Würde ich dir gerne … “ "Du schenkst mir das?", unterbrach er mich ungläubig.Ich nickte. „Du bist doch ein Regisseur und kein Schriftsteller!“Seine Stimme zog sich in den Körper zurück. Mein Nachbar drehte sich um und verschwand in seinem Vorzelt. Kurze Zeit später kam er zurück und bedankte sich überschwänglich: "Es gibt doch noch jemand, der mich liebt!", sagte er immer wieder, „es gibt doch noch jemand, der mich liebt!" Nein, das war keine Floskel. Dieses Statement fand den Weg aus den Untiefen seiner Seele bis hinaus ins Freie. Vielleicht erschrak er selbst, was da gerade über seine Lippen kam - denn mein Nachbar stockte, starrte zu mir herüber und sagte nur noch „Danke!“


An diesem Abend blieb sein Fernseher aus. Er hockte im Vorzelt und las im Buch. "Ich bin schon zu Hälfte durch!", erzählte er mir an einem der nächsten Tage. "Ich bleibe dran!"
Ich hoffe sehr, dass er das macht. Das mit dem Dranbleiben. Und vielleicht wird ja aus „dem da oben“ noch eine Freundschaft. Ein Name. Jesus. Das ist viel mehr als nur ein Kopfnicken hinauf in den Himmel.