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Falscher Optimismus

Wir telefonieren und sie erzählt mir von jemand aus ihrer Familie, der seit vielen Jahren an Depressionen leidet. Es fällt ihr schwer, die Wahrheit auszusprechen. Das verstehe ich, denn die Wirklichkeit trägt Schwarz und die Restfantasie auf eine bessere Zukunft liegt unter einem Felsbrocken begraben.

Teilt jemand seine Trauer mit mir, betrachte ich das als Vorrecht. Dann höre ich zu, schweige, leide mit. Hätte ich versucht, etwas Aufmunterndes zu sagen, wäre das falsch, geradezu beleidigend. Ich war’s schließlich, der sie nach dem Kranken fragte – und sie antwortete mir ehrlich. Optimismus hätte ihrem Schmerz seine Berechtigung abgesprochen.

Falscher Optimismus verletzt den Betroffenen. Und wird seine persönliche Misere mit Gott und fehlendem Vertrauen in Verbindung gebracht, zerstört das nicht nur die kümmerliche Hoffnung auf Heilung, sondern zertrümmert ebenso den Restfunken an Gottesglauben; verurteilt denjenigen als armseligen Christen.

Im Neuen Testament findet sich die Aufforderung: „Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“*

 

Logisch, das gemeinsame Freuen ist angenehmer. Da steigt eine Party, man erzählt sich von beispiellosen Wundern, powert Gottes machtvolles Eingreifen und freut sich des Lebens.

Inspirierend.

In den Wohnungen der Trauernden läuft keine Musik. Dort ist nicht aufgeräumt, die Vorhänge zugezogen und es riecht nach Abgrund. Stille wird hin und wieder durch ein Schluchzen unterbrochen.

Deprimierend.

 

Wer muss da lange überlegen, in welches Heim er will? Ich nicht.

 

In der Advents- und Weihnachtszeit steigt die Zahl der dunklen Zimmer. Oder: Die im Halbdunkel leben, lassen die Vorhänge runter.

 

Es gibt viele biblische Aussagen, die unter die Rubrik „Weihnachtsbotschaft“ fallen; eine davon heißt: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Land, scheint es hell.“**

Fällt dieses Statement nicht auch in die Kategorie „falscher Optimismus?“

Nope.

 

Tatsache 1: Dunkelheit ist da. Immer noch und immer weiter.

Tatsache 2: Licht leuchtet.

Tatsache 3: Keiner spricht vom schnellen Ende der Nacht.

 

In meinen langen dunklen Jahren hat Gott ausgehalten: das Halbdunkel, den Muff des Abgrunds, das Gejammer und Geheule. Er … oder „sein Licht“ … oder „das große Licht“ war sich nicht zu schade, mich zu ertragen.

Und: Falschen Optimismus hat er nicht verbreitet.

Jesus war da. Ohne Worte. Er hat sein „da sein“ nicht von meinem inneren Zustand abhängig gemacht (wenn du glaubst / wenn du Lobpreis machst … dann …)

 

Optimismus, richtiger Optimismus, überzeugt: durch Zeit, Liebe, langes Ertragen und noch längere Stille.

Jesus hat sich die Zeit genommen.

Es hat Lichtjahre gebraucht, um mich in meiner Tiefe zu erreichen.

Jesus hat mir die Zeit gegeben.

Er hat seine Bemühungen nicht abgebrochen. Und als das erste Mal lichte Grautöne durch die Dunkelheit waberten, musste ich mich daran erst gewöhnen.

 

Weihnachten ist die grandiose „Ich bin da“ – Botschaft. Unabhängig davon, wie es uns geht.

Weihnachten ist der Hinweis darauf, dass über unseren Köpfen helles Licht scheint.

Losgelöst davon, ob wir die Kraft haben, den Blick zu heben oder nicht.

 

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