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Ghostwriter

Ende 30 Anfang 40. Die blondgesträhnte David-Bowie-Friese hängt ihr ins Gesicht. Über dem grauen Shirt wabert eine große Bomberjacke im Camouflage-Look. Die nassen Sohlen ihrer Springerstiefel quietschen auf Linoleum.

Die Lady läuft in die Mitte vom Rentnercafé. Dort bleibt sie stehen, dreht sich im Kreis, scannt die Umgebung nach einem freien Platz, schiebt die Hände in die ausgebeulten Hosentaschen ihrer zerrissenen Jeans, kreist ein letztes Mal und verschwindet wieder nach draußen. Ciao Signora.

 

Im vollbesetzten Café hocken alte Menschen. Also richtig, richtig alte Menschen.

Und ich.

Das Layout der Location ist entsprechend: Rosa Tapeten mit Blumenmuster, Schwarz/Weiß-Fotos, dunkelgrüne Samtpolster. Rollatoren parken an der Garderobe.

 

Das alles juckt mich nicht. Ich muss neunzig Minuten überbrücken; dafür braucht’s einen Sitzplatz, einen Kaffee und das WLAN. Laptop und Noice-Cancelling-Kopfhörer sind Bestandteil meiner Ausgehuniform. Digitale Nomaden wissen, was ich meine.

 

Die Lady ist wieder weg und hat meine Gedanken gleich mitgenommen.

Im Kreis drehen? Keinen Platz finden?

Kenne ich gut.

Es gab Zeiten, da lebte ich wie ein Außerirdischer im Bingo-Vereinsheim.

Der Wunsch nach Heimat in dieser manchmal chaotischen Welt ist groß. Dabei kann’s passieren, dass eigene Vorstellungen, die Identität und Kreativität verkümmern. Und schon hängst du am Rollator und zockelst durch die Welt. Schließlich kleben die anderen auch am Griff.

 

Als ich seinerzeit mit meiner theologischen Ausbildung loslegte, schrieb ich an die Freude in der Heimat alle paar Wochen einen kurzen Infobrief. An eine Rückmeldung erinnere ich mich bis heute: „Hast du einen frommen Ghostwriter?“

Nope. Hatte ich nicht. Jede Zeile kam von mir.

Das war peinlich … und extrem heilsam. In meinem Brief stand nix Falsches. Aber Schreibstil und Wortwahl passten nicht zu dem Meyerhöfer, mit dem sie jahrelang um die Häuser zogen.

 

Schon klar: nicht alle cheerleadern dein Styling. Nicht jedem gefällt dein Sprechstil. Deine Ideen hören sich verrückt an. Doch das sind subjektive Kriterien, haben NICHTS mit richtigem oder falschem Glauben am Hut.

 

Jesus zeigt wie’s funktioniert:

Da fällt einer vor ihm in den Dreck, hat nur einen Wunsch: Nach seinem Leben will er im Himmel sein.

Und was macht der Sohn Gottes? Holt er das Oktavheftchen aus dem Mäntelchen und liest die Eintrittsbestimmungen vor? Rollator, dunkelbraune Stoffhose, Wickelblüschen und den himmelwärts entgleisten Blick?

Never.

„Geh hin, verkaufe alles, gib’s den Armen … und folge mir nach.“

Mann Mann Mann … dann doch lieber Vierrad fahren, oder?

 

Das ist radikal. Superradikal sogar.

 

Wichtig wichtig wichtig: Warte noch, bevor du dein ganzes Zeug auf ebay-Kleinanzeigen vertickst. Denn das göttliche Statement von seinerzeit galt dem Mann, der vor Jesus auf dem Boden lag. Entscheidend ist dessen Ausgangsfrage:

„Was willst du, das ich tun soll?“

Diese Frage muss uns alle beschäftigen. Plus Umsetzung der göttlichen Antwort.

 

Wer die „was soll ich tun-Frage“ dem Falschen stellt, fährt womöglich morgen mit dem Rollator durch die City.

Der redet Zeug, das er nicht versteht und das zudem keinen interessiert. Der arbeitet mit frommen Ghostwritern zusammen.

Da bin ich doch lieber auf der Flucht – wie die Lady mit der David-Bowie-Frisur.