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Haben Engel Angst vor Gewitter?

Der Bodensee liegt flach unter dem schweren Himmel, fast reglos. Kein Wind. Die Luft steht still, feucht und dick, als würde sie jeden Moment brechen. Es riecht nach Regen, nach Unwetter. Ich lehne mich gegen die Reling der Fähre, starre hinaus auf das Wasser. Ein grauer Teppich, ohne Bewegung, ohne Leben. Am Horizont beginnt der Himmel zu flimmern. Ein Blitz, weit entfernt, zieht seine feine Linie über den Himmel. Ich zähle die Sekunden bis zum Donner.

17. September 2024

Eins, zwei, drei. Das Grollen kommt spät, leise noch. Aber es wird lauter. Das Gewitter kommt näher.

Die anderen Passagiere sitzen in ihren Autos, oder drängen sich auf den wenigen Sitzplätzen unter Deck. Kaum jemand ist draußen geblieben. Nur ich, ein paar mutige Radfahrer und eine Familie mit quengelnden Kindern. Alle warten. Jeder für sich. Ich bin allein mit meinen Gedanken, allein mit diesem aufziehenden Sturm.

Ich habe keine Angst vor Gewittern. Nicht wirklich. Und ich mag diesen Moment, wenn sich die Welt zusammenzieht, als würde sie den Atem anhalten. Dann kommt die Frage plötzlich, wie aus dem Nichts: Haben Engel Angst vor Gewittern?

Ich muss fast lachen über mich selbst, über diese seltsame Vorstellung. Engel – diese unerschütterlichen, strahlenden Wesen – fürchten sich vor einem Sturm? Abwegig. Und doch. Was, wenn sie es tun? Was, wenn auch sie, trotz all ihrer Macht, in einem solchen Moment innehalten, den Kopf einziehen, die Flügel eng an den Körper pressen? Was, wenn selbst Engel eine Art Ehrfurcht spüren, wenn die Natur tobt?

Ein weiterer Blitz – näher diesmal, greller, als hätte der Himmel einen kurzen Wutanfall. Der Donner folgt schneller, heftiger, als ob er gleich neben mir einschlägt. Die Luft flimmert, und ich spüre, wie sich etwas in mir zusammenzieht, ein kleiner Knoten im Magen. Ich kann nicht gut auf Booten. Mir, dem schon auf einer Luftmatratze schlecht wird. Die Fähre schaukelt leicht, das Wasser ist jetzt nicht mehr ruhig. Es beginnt sich zu rühren, kleine Wellen klatschen gegen den Rumpf, wie ein leises Murmeln.

Die Vorstellung von Engeln, die in solchen Momenten ihren Mut sammeln müssen, will mir nicht aus dem Kopf. Vielleicht haben sie keine Angst vor dem Gewitter selbst, denke ich. Vielleicht haben sie nur Angst davor, was das Gewitter bringt. Das Chaos, die Angst, die Verzweiflung der Menschen, die sie beschützen sollen. Sie sind doch hier, um uns zuhelfen. Genau das steht doch in der Bibel – Hebräer Kapitel 1: „Sind sie nicht alle dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?“ Da steht es schwarz auf weiß: Die Engel werden geschickt, um uns zu bewahren. Zu trösten. Uns zu retten, wenn es nötig ist.

Ein weiteres Grollen zieht über den See. Der Himmel ist jetzt fast schwarz, nur gelegentlich erhellt von diesen blendenden, unberechenbaren Blitzen. Die Fähre fährt unbeirrt weiter. Vor uns liegt Konstanz, noch unsichtbar im Nebel, aber nah genug, dass ich weiß, wir werden den Sturm hinter uns lassen. 

Vielleicht haben Engel keine Angst vor Gewittern, denke ich. Vielleicht stehen sie genau da, mitten im Sturm, weil sie wissen, dass sie uns beschützen müssen. Weil sie es müssen. Und vielleicht, nur vielleicht, ist das, was wir für Mut halten, nur die Notwendigkeit, ihrer Aufgabe treu zu bleiben.

Die ersten Tropfen fallen, schwer und kalt. Ich ziehe den Kragen enger, schaue noch einmal zum Horizont. Der Sturm wird kommen. Aber die Engel auch.