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Lange Nächte

Es gibt Nächte, in denen ich nicht schlafen kann, weil ich meine Gedanken nicht unter Kontrolle bekomme. Hinter den geschlossenen Lidern wird mir immer und immer wieder derselbe schlechte Film präsentiert. Mit mir in der Hauptrolle.

09. Mai 2023

Ich höre meine verletzenden Worte und sehe das Gesicht meines Gegenübers; muss mit der Enttäuschung fertig werden, die sich über sein Gesicht legt; muss seinen Schmerz ertragen, den mein Statement angerichtet hat. 
Ich schäme mich dafür und würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. 
Aber das geht nicht. 

In solchen Nächten melden sich auch andere Stimmen aus dem Off: Sie behaupten, dass diese Aktion doch gar nicht so schlimm war; dass meine Ansage im Anderen konstruktive Möglichkeiten zur Weiterentwicklung geschaffen habe; dass es höchste Zeit wurde, dass endlich jemand diesem Typen die Wahrheit eingeschenkt hat. 
Dunkle Stimmen, die mir einreden, dass eigentlich und überhaupt nur ICH das Opfer in dieser Angelegenheit bin. 
Dunkle Stimmen, die die Wahrheit mit ihren verlogenen, absurden Vorschlägen mundtot machen möchten.

Doch mitten hinein ins Manöver der Dunkelheit blitzen Worte auf, die mir zunächst so gar nicht passen: „den anderen um Vergebung bitten“, lautet ein solches Statement. Oder „du warst unbeherrscht“, „überheblich“, „nicht fair.“
Auf die Reaktion der dunklen Stimmen muss ich nicht lange warten: Sie werden lauter, feuern Salven möglicher Ausreden in meinen Kopf … und schaffen es trotzdem nicht, die Wahrheit zu unterdrücken.

Wie schnell und gedankenlos bitten wir Jesus um Vergebung unserer Sünde.
Eine Bitte, oftmals vorgetragen ohne Reue und Erschütterung. Es erinnert mehr an ein lästiges Pflichtprogramm als um ein Bedürfnis.
Ganz sicher funktioniert dieses Verhalten auch deshalb so problemlos, weil wir die göttliche Trauer und Enttäuschung nicht live und in Farbe erleben.

Viel lieber sprechen wir doch über eigene Verletzungen; machen unser Elternhaus für unschöne Verhaltensmuster verantwortlich; betonen die momentane Stresssituation, in der wir stehen und leben; reden uns ein, dass die ursächlich für unser bescheuertes Handeln und Reden gewesen sei. 

Ganz anders beim Aufeinandertreffen mit unserem Opfer; hier greifen wir auf Methoden zurück, die unter die Rubrik „taktische Gesprächsführung“ fallen. Und die beherrschen wir im Schlaf:
- unsere angeblich schwere Situation in den Vordergrund stellen.
- lange Bank auspacken: schieben, was das Zeug hält. „Die Zeit heilt alle Wunden“, denken wir und gehen - sofern möglich, dem anderen aus dem Weg.
- Umschiffungstaktik - also das Problem nur weitläufig ansprechen.
- der Gebrauch von Null-Acht-Fünfzehn-Floskeln: „war nicht so gemeint, haha“ oder „du kennst mich ja“. 
- Love-Bombing am Ende: Da bringen wir die „Alles wieder gut? - Frage“. 

Problem beseitigt. 
Nicht. 

Diese Trickserei mag bei anderen funktionieren, doch Jesus lässt sich von uns nicht über den Tisch ziehen. 
Er ist derjenige, der diesen dunklen Stimmen in unserem Hirn die Wahrheit entgegensetzt. Zusätzlich nennt er uns eine Vorgehensweise, die aufs komplette Taktieren verzichtet: hingehen, klären, um Vergebung bitten und Beziehung wieder herstellen. 
Wer Jesus besser kennt, weiß, dass es sich hierbei um keine Option unter vielen handelt. Vielmehr drängt der Sohn Gottes regelrecht darauf, dieses Verhalten im Leben anzuwenden. 

Dass wir andere verletzen, lächerlich oder manchmal sogar mundtot machen, kommt leider in der Hitze des Alltags immer wieder vor. 
Wenn wir Jesus unsere Schuld bekennen, dann gibt’s von ihm die Vergebung. Ohne Wenn und Aber. Doch das ist nur Teil 1 der Vereinbarung. Teil 2 ist das Schuldeingeständnis vor dem, der wegen uns beschwert durchs Leben gehen muss. 
Das ist deshalb weitaus schwieriger, weil wir unserem Gegenüber ins Gesicht schauen müssen. Also live und in Farbe. In solchen Fällen habe ich Wortfindungsstörungen, Schweißausbrüche, eine ungesunde Gesichtsfarbe und manchmal rollen sogar Tränen übers faltige Gesicht. Aber - ich kann wieder schlafen.