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once upon a time

Kurz nach dem ersten Lockdown:
Enkel Milo kam zu Besuch. Endlich! Sechs Wochen ohne. Für Kinderherzen ist das eine Ewigkeit.

„Keine Umarmung!“, ermahnte ihn seine Mama.
Der Dreijährige nickte und klingelte an der Haustür.
„Nist umarmen!“, informierte er mich knallhart, als ich ihm die Tür aufhielt.
Alles klar.

Wir bauten Türme. Kaputte (Spielzeug-)Autos mussten auf die Hebebühne. Mit den Playmobil-Piraten eroberten wir neue Welten. Tauchten Seeräuber am Horizont auf, schickten wir den Triceratops in den Kampf. Gegen den Saurier hatten die Schrecken der Meere keine Chance.
Ein Hilfeschrei erschütterte unsere Welt: „Kuchen!“, rief da eine Stimme, „Schokomuffins!“
Da war jemand in Not – und in solchen Fällen hilft nur eins: Sofortige Unterstützung!

Nach den ersten Bissen unterbrach ich die gefräßige Stille: „Milo, es ist so cool, dass wir uns wieder sehen!“
Er schwieg.
Sein Muffin blieb auf dem Teller.
Dann stand er auf und verschwand ins Wohnzimmer.
„Er ist sehr traurig“, flüsterte seine Mama in meine Richtung, „es war schon  … “
Weiter kam sie nicht.

Der kleine Mann raste um die Ecke, hüpfte auf meinen Schoß, schlang seine Arme um meinen Hals und brüllte „OOBAAA!“
Immer wieder.
Leute, da schwillt der Kloß im Hals auf Fußballgröße an.
Milo drückte seinen Kopf an meine Brust, klammerte sich fest… so als ob er mich nie mehr loslassen wollte.

Und ich?
Was sollte ich tun?
„Nist umarmen“, verlangte er von mir.
„Nicht umarmen“, forderte seine Mama.
Und jetzt?
Ihn wegdrücken?
Ihm sagen, dass er gerade dabei ist, seinen Opa ins Grab zu bringen? Zumindest hypothetisch?
Einen Vortrag über Corona und die Auswirkungen halten?
Alles Quatsch.

Ich umarmte meinen kleinen Mann, streichelte ihm übers Haar und sagte ihm die ganze Zeit, wie sehr ich ihn vermisste.
Den Rest des Tages waren wir nicht mehr voneinander zu trennen.

Welches Bild haben wir von Jesus, von Gott?
Wie praktizieren wir unseren Glauben?

Da postet Jesus ein Statement, das den Blick in eine völlig neue, grandiose, liebe-volle Welt offenbart:
„Wer zu mir kommt“, sagt er, „den stoße ich nicht hinaus!“

Die Voraussetzungen dafür?
Jesus pocht auf keine Kleiderordnung. Schwafelt nichts von Anstandsregeln. Weist auf keinen Verhaltenskodex hin. Spricht nicht von (Spenden-)Geldern. Verlangt kein untertänig-höfisches Stiefellecken.
Stattdessen: Anklopfen, Tür fliegt auf, Umarmung erwünscht!

Anderes Beispiel:
Da ist der verlorene Sohn. Verdreckt, verpeinlicht, abgelost.
Die Story ist bekannt. Der Bursche kommt zum Papa und diesmal ists der göttliche Vater, der mit einer liebevollen Umarmung das Eis bricht.

Was für eine wundervolle, tiefe, reine Liebe herrscht im Himmel!
Und in dieser Liebesbeziehung leben die Menschen, die an Gott glauben!
Jetzt schon. Hier. Heute.

Die Fakten liegen klar auf der Hand.
Erstens:
Jesus schmeißt keinen vor die Tür.
Zweitens:
Sein Vater umarmt den dreckigen Sünder.
Drittens:
Die Engel jubeln im Chor …
und wir … wir machen einen auf Erwachsen.

Wir zieren uns.
Jesus um den Hals fallen?
Das ist doch viel zu emotional und kindisch.
Vor allem: Was sollen die anderen von mir denken? Soll ich rumheulen? Mich vor denen zur Tussi machen?

So ist das. Wir sind das Problem. Wir, die Erwachsenensünder. Wir, die wir uns nach göttlicher Liebe sehnen und uns dabei so schwer tun, Gefühlen Raum zu geben.

Meine Enkel sind mir ein großes Vorbild – wie sie glauben, wie sie beten, sich mitteilen.
Offen und ehrlich, ohne Angst vor der erwachsenen Peinlichkeitsgrenze.
Da wird umarmt, weil die Sehnsucht so groß ist.
Schranken niedergerannt, weil sie hindern.
Geliebt, ohne Ansehen der Person.

Vermutlich wird es so sein, dass ihnen dieses Unberührte, das Reine, Vorurteilslose zerstört wird.
Je älter wir werden, desto mehr entfernen wir uns vom kindlichen Glauben. Gründe dafür gibt es viele.

Es erstaunt nicht, dass Jesus gerade hierzu aufruft:
Zurück zum Kindsein. Zurück zum Vertrauen. Zurück zur Liebe.
Zurück in die Vergangenheit.
Es war einmal.
So fangen nicht nur Märchen an.

Jesus, der Vater,… ja der ganze Himmel,… sie alle warten auf unseren emotionalen Ausbruch.
Liebe ohne Emotion ist ein Herz unter Eis.
Liebe ohne Berührung ist der Tod auf Raten.
Und Liebe ohne Kommunikation ist wie ein Versprechen aus früheren Tagen, das sich nie erfüllt hat.

Wir?
Wir dürfen wir uns in Gottes Arme werfen.
Unser schuldbeladener Anblick, unsere versündigte Vergangenheit, die stinkende, perverse Version unseres früheren Ichs hindert Gott nicht daran, uns in seine Arme zu schließen.

„Gott ist Liebe“ steht (auch) in der Bibel.
Ist ja klar.
Denn wer keinen wegschickt, wer den Sünder mit Liebe umarmt, der kann nur Liebe sein.
Ganz und gar und durch und durch.