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Ratten im Haus

Es raschelt im Zimmer. Und schon wieder. Noch ein drittes Mal. Randalieren etwa Mäuse in meinem Wohnzimmer?
Ich liebe diese Tiere. Nicht.

„Tief durchatmen und lässige Sitzposition verlassen“, befiehlt mir mein Gehirn. Mit zusammengekniffen Ex-Polizistenaugen scanne ich das Wohnzimmer. Da, schon wieder –  hinterm Schwedenofen muss sich das graue Mäusetier verstecken, denn die Geräusche kommen eindeutig aus dieser Richtung.

Zuerst will ich mich der Wahrheit gar nicht stellen, denn – um ehrlich zu sein – das Rascheln ist viel zu intensiv für eine kleine Maus … ich vermute sogar eine dicke fette Ratte im Holzkorb, die ihre gruseligen Nager tief ins Birkenholz rammt.
SO klingt das.

Rechts am Ofen lehnt der Schürhaken.
Mit diesem Werkzeug werde ich mich verteidigen. Hektisch rühre ich den Edelstahlstab durchs gespaltene Gehölz.
Aber: Keine blitzenden Augen, die mich hypnotisieren; keine blassen spitzen Zähne, die sich mir in die Hand bohren möchten.
Nichts.
Hinter mir raschelt es schon wieder. Ich fahre herum und der Haken donnert gegen den Ofen. Ein dumpfer Ton schwingt sich durchs Zimmer und dann ist alles wieder still.
Vorteil: Es hat sich ausgeraschelt.

Vorsichtig beuge ich mich nach vorne. Ich will um die Ofenkante linsen, komme aber nur bis zur verdreckten Glasscheibe.
Da beobachtet MICH jemand!
Mit einem Satz springe ich zum Sessel und der Schürhaken knallt zum zweiten Mal an diesem Tag gegen den Schwedenofen.
Ein Auge starrt mich an!
Ein Auge, das sich IM Holzofen befinden!
Es bewegt sich.
Es ist schwarz!
Also doch, eine Ratte!

Mir kommen verschiedene Szenarien in den Sinn, wie ich mich der Ofenratte entledigen kann.
Am Schluss siegt zwar der Rettergedanke, doch dazu muss ich die Kamintür öffnen. Aber was, wenn das Rattentier an mir vorbei durch unser Wohnzimmer rennt?
Ich entschließe mich fürs verzögerte, kontrollierte Öffnen: Ein paar Millimeter Luft einlassen, mit der starken MagLite den Innenraum fluten, mir einen ersten Eindruck verschaffen.
So der Plan.

Also: Ich öffne die Tür, strahle mit der Taschenlampe hinein ins Dunkel … und dann schreit das Tier in höchsten Tönen!
Ich schlage die Tür zu und atme tief durch.

Das ist keine Ratte.
Das ist auch keine Maus.
Es ist ein Vogel. Eine Elster.
Vermutlich hat der Sturm sie in den Kamin geblasen.
Vielleicht.

Ich öffne wieder die Tür. Weiter als vorher. Die Taschenlampe bleibt aus. Das Tier schreit nicht.
Es sitzt ganz hinten im Eck und hat Angst. Ihr grau-blaues Gefieder ist tiefschwarz.

Ich reiße die Wohnzimmerfenster auf.
Draußen regnet es in Strömen.
Den Schürhaken schiebe ich langsam in das Innere des Ofens. Die Elster drückt sich noch mehr ins Eck.
„Keine Angst“, flüstere ich. „Ich hol dich jetzt hier raus!“ 
Der verängstige Vogel setzt einen Fuß auf die Eisenstange.
„Den anderen auch noch!“
Warum auch immer, das Tier gehorcht. Dann ziehe ich den Vogel vorsichtig in Richtung Freiheit.

Einige Zentimeter vor der Eisentür hüpft die Elster vom Schürhaken, macht einen Satz auf den Holzkorb, schlägt mit ihren Flügeln und hebt ab: durch das große Fenster hinaus in die Freiheit.
Der Regen verpasst dem Vogel ein gestreiftes Zebramuster ins Gefieder, doch davon nimmt das befreite Tier keine Notiz. Es dreht noch eine kleine Runde über dunklen Tannen und flattert schließlich hinauf in den nebelverhangenen Himmel.

Ich stehe lange am Fenster und schaue der Elster hinterher. Sie ist nur noch ein kleiner Punkt, weit oben.
Ob ihr der Herbstregen schon den Schmutz aus den Federn gewaschen hat?
Die Tropfen wässern meine Arme. Mich stört das nicht, ich bemerke den Regen kaum. Meine Gedanken sind bei Jesus. Seinerzeit, wie er in einer kleinen Kirche den Gottesdienstbesuchern seine To-do-Liste offenbarte:
„Ich predige das Evangelium den Armen!“, versprach er. „Ich verkündige den Gefangenen die Frohe Botschaft, dass sie frei sein sollen. Ich sage den Blinden, dass sie sehen sollen und ich entlasse die Zerschlagenen in die Freiheit!“*

Wir sind Menschen, keine Vögel.
Vermutlich erlebt keiner von uns den freien Fall im Schornstein bis runter in einen Schwedenofen. Und niemand von uns muss gegen eine feuerfeste Scheibe klopfen, in der Hoffnung, dass hoffentlich eventuell und vielleicht oder wie auch immer jemand auf unsere Not aufmerksam wird – uns den Weg zurück in die Freiheit ermöglicht.
Wir sind Menschen, keine Vögel.

Und doch:
Wir beladen uns mit Schuld.
Wir versündigen uns an Gott und an den Menschen.
Wir befinden uns Situationen, in die wir nie und nimmer kommen wollten.
Der Dreck hängt in den Kleidern, in unseren Köpfen und das Versagen hat uns, wohin wir auch kommen, schon längst angekündigt.

Dabei gibt es einen Retter.
Jesus befreit von Schuld und Sünde. Damals wie heute. Er ist es, der die Gefängnistore öffnet und uns in die Freiheit ruft. Er wischt uns die Tränen und den Dreck vom Gesicht, verspricht uns ein neues Leben und Vergebung, die bis in den Himmel reicht.

Damit seine To-do-Liste von damals bis in unsere Gegenwart reicht hat, musste Jesus sterben. Nicht an Corona, nicht an Krebs und auch nicht an Altersschwäche.
Die damaligen Besatzungsmächte nagelten ihn ans Kreuz. Vor seinem letzten Atemzug brüllte er ein „es ist vollbracht!“ in die Welt.

Ein Schrei, der heute immer noch zu hören ist. Er schafft es bis in unsere verlorene, schmutzige Welt.
Die Frohe Botschaft wird getragen vom Wind der Freiheit, den Jesus entfacht hat.
Und das Licht der Rettungsstation wird nie erlöschen.

Er hat es tatsächlich vollbracht:
Er hat den Mächten die Stirn geboten, er hat sich geopfert, um uns die Freiheit zu ermöglichen.

Die Elster im Schwedenofen klopfte mit ihrem Schnabel an das feuerfeste Fenster.
Bei uns reicht ein „Jesus, bitte vergib mir, befreie mich von meiner Schuld, ich brauche deine Rettung!“

 

Herzlichst, wo immer ihr gerade seid!

*Neues Testament, Lukasevangelium, Kapitel 4 Vers 18