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Stagediving im Reisebus

Es ist Samstagnachmittag und ich sollte einen Artikel für den nächsten Newsletter schreiben. Stattdessen hocke ich im superfrommen Mobil und starre unentwegt aus dem Fenster. Über mir schießen Blitze durch den Tübinger Himmel. Ich bin gespannt, wann endlich die ersten Tropfen aufs Wohnmobildach fallen. Schon über sechs Wochen fahren wir durch die Republik; mal bin ich alleine unterwegs, dann wieder sitzt die Geliebte auf dem Beifahrersitz – das Wetter zeigte sich in der ganzen Zeit von der immergleichen Seite: regenlos und überhitzt. Manchmal war es so heiß im Mobil, dass an Schlaf erst in den frühen Morgenstunden zu denken war.

Uhh ... dieser Donnerschlag soeben … der hatte es in sich! Das Fahrzeug wackelte sogar und jetzt ... jetzt endlich knallt der Regen aufs Dach und drückt gegen die Fenster. Wahnsinn, was da runterkommt! Die Landschaft verschwimmt und versteckt sich hinter einem Wasservorhang.

Über sechs Wochen, und wenn wir nächsten Samstag nach Hause kommen, sind's fast acht. Mein Notizbuch ist voll mit neuen Storys: Ich habe Spezialisten und Influencer kennengelernt, Erfahrungen mit dem himmlischen Vater gemacht und verrückte Geschichten gehört und überstanden.

Gestern zum Beispiel erzählte mir eine Frau, dass sie Platzangst habe (Agoraphobie). Vor längerer Zeit hatte sie es gewagt, mit einem Reisebus nach Paris zu fahren. Anfangs klappte alles problemlos; doch als der Bus an einer Raststätte abbog, zum Stehen kam, seine Schwingtüren öffnete und der Reiseleiter zum kollektiven Pinkeln einlud, erhoben sich die Mitfahrenden und stürmten zu den beiden Ausgängen. Das war zu viel für die Dame: Sie überließ der Panik das Kommando, schnellte von ihrem Sitz, drängte und drückte alles und jeden zur Seite ... zitterte, brüllte und kam erst wieder vor dem Bus zur Besinnung.

Stagediving im Reisebus ... und das ganz ohne Spaßfaktor. 

Auf meine Frage, ob sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchte, schüttelte sie ihren Kopf. „Deshalb steige ich auch in kein Flugzeug“, schob sie leise hinterher.

Miese Erfahrungen lassen sich nicht wegdiskutieren und – ich sage das mit aller Vorsicht – auch nicht einfach wegbeten. Im Sinne von: „kurzes Gebet gesprochen und schon fliegt die Frau im Non-Stopp-Flug breit grinsend um den Globus.“ Nope ... so geht das nicht.

Schlechte Erinnerungen, blöde Erlebnisse oder traumatische Erfahrungen hocken so dermaßen fest in unserem Herz und Hirn, dass oft eine (viel zu) lange Aufarbeitung notwendig ist. Selbst dann, wenn wir der Meinung sind, endlich alles unter den Füßen zu haben, schaut unangemeldet eine kleine bescheidene Situation vorbei, die Vergangenheit zeigt uns ihr Peace-Zeichen und hockt sich ungefragt auf unseren Schoß. Willkommen in der Gegenwart.

MORGEN erscheint mein neues Buch: „Found – bis hierhin und noch viel weiter“. Es ist die Geschichte vom kleinen Babythomas bis in mein Heute – eine Autobiographie also. Dafür musste ich in meine sechzig Jahre alte Vergangenheit einsteigen, schwere Steine heben, mich längst vergessenen Gespenstern stellen, stille Gespräche wiederholen. Leute, Leute ... manche Episode hätte ich sehr sehr gerne links liegen lassen.

Ehrlich ...

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit war und ist für mich nicht immer einfach. Und was das Schreiben des Buches betrifft: Mehr als einmal hockte sich die Vergangenheit unaufgefordert auf meine Schreibtischplatte und grinste hämisch zu mir herüber.

Grandios jedoch steht dieser Tatsache die Erkenntnis gegenüber, dass Jesus hilft, tröstet, trägt und ermutigt. Und das ist, wie der Schwabe sagt, wahrhaftig kein frommes Zuckerle. Denn mir fiel beim Erinnern an seinerzeit auch gleichzeitig Vergebung, Neuanfang und Fortsetzung des Lebens ein; und somit war mein Abtauchen in manches frühere Haifischbecken gar kein gefährliches Unternehmen mehr.

„Ich bin immer bei euch!“, verspricht Jesus und das ist sowas von wahr. Der Sohn Gottes hält, was er verspricht. Und es gibt im gesamten Universum kein Haifischbecken, das ihm Angst einflößt und er im direkten Duell den Kürzeren zieht.

Hockt sich also die Vergangenheit auf meine Schreibtischplatte und will mir Angst machen, dann versuche ich mich schnellstens daran zu erinnern, wie der Ausgang der Geschichte war. Das nervt die Vergangenheit extrem und sie zieht sich dahin zurück, wo sie hingehört.

Und gleichzeitig bekommt der die Ehre, der gestern, heute und auch morgen zu seinem Versprechen steht.

So soll das sein.