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"Stell dich nicht so an!"

Die Landschaft ist der Hammer: Grün so weit das Auge reicht. Blüten, die ich noch nie gesehen habe. Es ist eine Farbenexplosion. Dazu noch riesige Palmen, die ihre Zweige in den tiefblauen Himmel strecken. Ich weiß nicht, wo ich zuerst hinschauen soll.
Ich bin Passagier eines uralten Gefährts, das mich von Kathmandu nach Pokhra bringt.

Der Linienbus schlingert durch die Kurven. Alle Sitzplätze sind belegt, an jeder Gummischlaufe hängt ´ne Hand und die Fahrgäste versuchen, senkrecht zu bleiben.
Ein paar Schritte vor mir kämpft eine Familie gegen das Umfallen. Die Kleine drückt ihr Gesicht an die feuchte Scheibe. Sie hebt den Kopf, schaut nach ihrer Mutter und sackt ansatzlos in sich zusammen. Die Mutter packt in Haare und Klamotten, zieht das Mädchen nach oben und brüllt.
Es klingt nach „stell dich nicht so an!!!“.
Sie lässt das Mädchen los, aber die geht erneut zu Boden.

Und Mama?
Die praktiziert den Katzengriff am Kind, zieht und zerrt, doch auf Wackel-Beinen kann sich keiner lange halten.

Das Mädchen knallt auf die Gummimatte. Sie ist am Ende. Zur Strafe schlägt erboste Mama mit ihrer flachen Hand auf den Kopf der Tochter. Immer wieder.
Endlich mischt sich der Vater ein. Er hält eine Wasserflasche in der Hand, beugt sich zum Kind und tröpfelt ihr Flüssigkeit auf die Lippen.
Kleine schafft es nicht. Rinnsale laufen an ihrem Mund vorbei, rieseln hinab auf den verdreckten Boden.
Der kleine Körper fängt an zu Beben.
Ein fetter Strahl schießt aus dem Mund und verbreitet sich im Bus.
Das Mädchen würgt, hustet, heult.
Und die Mutter? Die tobt.

Heftig, oder?
Richtig, richtig heftig!

„Stell dich nicht so an!“ – das ist eine Killerformel.
Wir großen und lebenserfahrenen Menschen schaffen es gerade noch, mit dem letzten Fitzelchen Selbstbeherrschung dem anderen nicht vor die Füße zu reihern.
Das wäre peinlich.
Also grinsen wir zu dummen Sprüchen.
Oder wir pressen die Lippen aufeinander.
Wischen uns heimlich Tränen aus den Augen.

„Dein Kollege xy schafft das in der Hälfte der Zeit!“ (STELL DICH NICHT SO AN)
„Deine Schwester übt eine Stunde am Tag Klavier!“ (STELL DICH NICHT SO AN)
„Darf man dir denn nichts mehr sagen?“
„Verträgst du keine Kritik?“
„Heul nicht rum!“
„Wenn du so weitermachst, wird nie etwas aus dir!“

Und. So. Weiter.

Hat Jesus die Wunderpille gegen Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle oder Menschenscheu?
Liegt im himmlischen Erste-Hilfe-Kasten eine Spritze zur Verdreifachung unserer Schaffenskraft?
Vermutlich nicht.

Seine Augen suchten schon immer die Kaputten; die Elenden; die Ausgestoßenen.

Und er sucht sie immer noch: Die auf dem dreckigen Omnibusboden kauern; die sich nicht mehr unter Menschen trauen; die um ihren linken Arm das Freundschaftsbändchen der bösen Freundin „Minderwertigkeit“ gebunden haben.

„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“, verspricht Jesus.
Und: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ 
Und auch „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.“

Das sind Zusagen für die schrecklichen Zeiten der einseitigen Konfrontation.

Und wenn du heute wieder mit Zerstörern konfrontiert wirst …  vielleicht schaffst du es, dich an das Versprechen von Jesus zu erinnern.
Gegen das Vergessen reicht eine kleine Notiz in der Handfläche:
„TROST!“  
Oder kleb` dir ein neongrünes Post-it an deinen Bildschirm:
„Jesus tröstet.“