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SWEET DREAMS

Ich hocke im Straßencafé und bin mit unsicher, wer da in Riesenschritten auf mich zukommt: Sie sieht aus wie Annie. Annie Lennox von den Eurythmics! Die Frisur passt schon mal: raspelkurz und blondgebleicht. Fehlt nur noch, dass sie gleich die wenigen Stufen zur Freilichtbühne hochrennt und ihren Megahit „Sweet Dreams“ raushaut. Und alle auf dem Marktplatz rocken mit.

15. August 2023

Wobei … ihr Klamottenstyle erinnert eher an Janis Joplin: weite bunte Pumphose, schwarz-gelbes Bolero im Flower-Power-Verschnitt und lange farbige Ketten um den Hals geworfen. 

Ihr rechter Arm ist heftigst tätowiert, genauso wie ihr rechtes Bein. Zumindest der Teil, den die Dreiviertelpumphose zur Ansicht freigibt. 

Ihre Flip-Flops schmatzen über das Kopfsteinpflaster.

Ich schätze sie auf Anfang siebzig - also stimmt das Alter auch mit dem von Annie Lennox überein. 

Aber - sie ist nicht Annie und Annie ist nicht in Überlingen. Erst jetzt weiß ich bescheid, - denn: die die aussieht wie und es doch nicht ist, läuft schwäbelnd an mir vorbei. Und diese - zugegeben schwere Sprache - beherrscht die Ex-Frontfrau von den Eurythmics nicht.

Ihr Partner versucht Schritt zu halten. Der Mann trägt hellbraune Sandalen, dazu weißen Socken und über seinem Bauch spannt sich ein kariertes Hemd. Tattoos sind Fehlanzeige - dafür steckt in seinem linken Ohrläppchen ein kleiner Brillie. Immerhin.

Trotz der Unterschiede können die beiden gut miteinander. Sie quatschen durcheinander, lachen, berühren sich an Armen und Händen, ziehen feixend über die Promenade. 

Offensichtlich nervt er sich null übers Aussehen seiner Lady; und ihr scheint’s wurscht zu sein, dass Männe nicht mit aufgepimpten Outfits punkten kann.

Schade, dass dieses Miteinander bei uns Frommen nicht immer und überall praktiziert wird. Und das ist tragisch - liegt doch hier eine grandiose, unglaubliche, mindblowing Verheißung bereit: „An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid“ versichert Jesus.

(Neues Testament, Johannesevangelium, Kapitel 13 Vers 35)

Würden alle gleich aussehen, dasselbe denken, der gleichen Meinung sein, wäre das mit der Liebe überhaupt kein Problem: 

keine Reibungspunkte, keine Missverständnisse und vor allem: immer schön konform und … ätzend.

Konform? Uniform.

Emotion? Nur wenn alle lachen.

Bei Jesus gibt es keine Kleiderordnung. Und keiner muss - bevor die Wanderung hinter dem guten Hirten startet, zur Typ- und Stilberatung.

Den Sohn Gottes interessiert es nicht, ob du mit der Gucci-Tasche wedelst, wild tätowiert die Reise antrittst … oder im vollgekotzten Parka steckst.

Wir sind’s Problem. Genau deshalb gibt’s von Jesus diese Aufforderung: Liebe praktizieren. 

Wo Liebe lebt, krepiert die Vorverurteilung und geflüsterte Verletzungen hinter vorgehaltener Hand gehören der Vergangenheit an.

Zum Schluss eine kleine Herausforderung für deine Fantasie: 

Stell dir vor, du siehst den guten Hirten. Da vorne. Er bleibt stehen, wartet, läuft wieder weiter.

Hinter ihm schnauft ein dicker Mensch. Seine Klamotten passen schlecht, der Schweiß rennt in Sturzbächen von der Glatze. Eine Lady in Stöckelschuhen steht neben ihm. Wartet, bis er wieder Luft bekommt. Sie holt ein Taschentuch aus ihrer Designertasche und gibt’s dem Dicken für den Schweiß. Ein anderer erreicht das ungleiche Duo. Seine Tattoos erzählen Geschichten aus der Vergangenheit. Offensichtlich war die heftig deftig. 

Der Typ zieht den Rucksack von der Schulter, holt eine Flasche Wasser aus dem Innern und hält’s dem Schwerschnaufenden vors Gesicht.

Welches Bild gäbe diese Szene für unfromme Beobachter ab? Löste diese (fantasierte) Episode nicht den Wunsch aus, in eine solche Gemeinschaft integriert zu sein? Eine in der’s aufs Äußere nicht ankommt? Wo jeder dem anderen hilft, den Weg zum Ziel gemeinsam zu schaffen?

Schade, dass wir für eine solche Vorstellung sehr viel Fantasie und / oder süße Träume brauchen. Vielleicht ist das der Grund, warum so wenige den Sohn Gottes in dieser Welt entdecken.