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Von toten Eichhörnern und anderen Turbulenzen

Es krächzt im Lautsprecher. Zuerst bröseln ein paar unverständliche Sätze durchs Flugzeug, dann übertönt die Stimme des Piloten das Rauschen: "Liebe Fluggäste, demnächst kann es zu Turbulenzen kommen. Bitte begeben Sie sich zurück an Ihren Platz und schnallen sich wieder an. Der Verkauf von Getränken wird in dieser Zeit eingestellt. Danke!"

06. Dezember 2022

Das Krächzen hat ein Ende und ich starre aus dem kleinen Fliegerfenster. Kann man Turbulenzen heranfliegen sehen? Draußen strahlt die Sonne und spielt mit ein paar Wolkenfetzen. Es sieht aus wie immer.

Die Stewardessen staksen durch den Mittelgang, senden ihr professionelles "ist-doch-alles-nicht-so-schlimm"-Lächeln über alle Sitzreihen hinweg, verschließen die Thermoskannen und parken den Verkaufswagen hinter der Abtrennung.
Und dann fängt's an zu rütteln. Der Flieger wackelt bedenklich, rollt durch den Himmel und verliert an Höhe. Sekunden später zieht er zurück nach oben. Es ist wie in einer Achterbahn - fehlt nur noch, dass die Passagiere ihre Arme in die Luft strecken und um die Wette kreischen.
Im Flugzeug jubiliert keiner.

Im Gepäcknetz direkt vor meinen eingeklemmten Beinen starrt mir eine Kotztüte ins Gesicht. "Sicher ist sicher", denke ich und zerre das Teil aus dem Netz. "Ich wär' auch lieber eine Popcorntüte geworden", steht auf der Verpackung und das bringt mich trotz der Turbulenzen zum Lachen.
Glücklicherweise geht denen nach einer viertel Stunde die Luft aus. Meinem Magen tut das gut und die Tüte freut sich auch.

Drecks Turbulenzen. Echt. Ich kann dieses Gerüttel und Gewackel überhaupt nicht ab. Nicht in der Luft und genauso wenig auf dem Boden des Alltags:
Von einer Sekunde auf die andere knallt die erste turbulente Welle ins Gemüt. Zack! Ohne Vorwarnung hebt's mich aus der sicheren Spur und bringt den sicher geglaubten (Lebens-)Flieger in bedrohliche Schräglage.
Für mich sind diese Zeiten komplett überflüssig - so unnötig wie das tote Eichhörnchen, das mir eine Katze vor die Haustür gelegt hat. Das braucht kein Mensch, liegt aber da und muss entsorgt werden. Natürlich kann der Kadaver auch liegen bleiben; vielleicht verschwindet er von selbst, wenn ihn lange genug die Sonne verbruzzelt hat.

Kürzlich war's wieder so weit: Ein totes Eichhorn verpestete meinen Alltag und ich verschickte sofort ein Stoßgebet in Richtung Gottes Thron. Ich fühlte mich gut dabei, denn ist's nicht genau das, wozu mich/uns Gott auffordert? "Rufe mich an in der Not" steht in der Bibel, "so will ich dich retten und du sollst mich preisen!" (Psalm 50 Vers 15)
Es passierte ... nichts. Im Gegenteil: Die Turbulenzen nahmen zu; der (Lebens-)Flieger schmierte ab; die Katze schmiss noch drei tote Eichhörner auf die Matte.
Soll heißen: Es wurde schlimmer. Und das trotz inbrünstigen Gebets.

Es ist so leicht, Gott die Not zu klagen. "Er ist nur ein Gebet weit von dir entfernt", sagt man oft. Zurecht.
Und doch ist der himmlische Vater kein Probleme-aus-der-Welt-Schaffer. Zum Beispiel Streit, den ich durch mein Verhalten auslöse; Unfrieden, weil ich meinen Mut im Schlafzimmer zurückgelassen habe; oder wenn ich meine Frau anmaule, aber gar nicht auf sie wütend bin, sondern auf einen Abgabetermin, den ich unmöglich einhalten kann.

"Kollege, das ist dein Job!", höre ich Gott sagen. "Bring in Ordnung, was du verbockt hast."

Solche Aufforderungen nerven. Ich grummle mich durch die Zeit, lebe mit den Turbulenzen, bis mir schlecht wird.

"Alles klar, ich mach's!", rufe ich irgendwann zerknirscht und nehme die Herausforderung in Angriff. Ich ziehe mir die Einweghandschuhe über, beuge mich übers tote Tier, packe das Eichhorn an seinem Schwanzende und verfrachte den Leichnam in die braune Tonne. Angenehm ist das nicht, aber der Gestank und der täglich größer werdende Fliegenschwarm sind verschwunden.
Die Luft ist wieder rein.