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Wilhelm

Gestern Abend um elf läutete das E-Mail-Postfach: „Lieber Thomas“, las ich,„leider habe ich erst heute deine Adresse gefunden. Mein Vater Wilhelm Kunz wird morgen um zehn Uhr beerdigt.“

Das sind Situationen, in denen die Zeit still steht. Wilhelm, mein alter, väterlicher Freund, Berater und Beter – für immer aus dem Blickfeld? Keine Mail, kein Gebet, kein gemeinsames Lachen im Dorf-Café?

Mein Terminkalender kollabiert – gerade jetzt vor Weihnachten. Trotzdem lasse ich alles stehen, verschiebe, drücke und fahre zu Wilhelm. Zum Sarg. Zur Gemeinde. Familie und Freunden. Denn: Ehre wem Ehre gebührt!
Nein, so etwas hätte er nie hören wollen. „Die Ehre gehört Gott!“, hätte er gerufen und dabei gelächelt.

Wilhelm… in meinen dunklen Jahren zündete er immer wieder ein Licht an: „Gott hat mir gesagt, dass dich deine Krankheit nicht umbringen wird. Du wirst leben und die Botschaft von Jesus verkünden!“, schrieb er mir einmal, als ich die Hoffnung auf die Zukunft verloren hatte.
„Ja, ja“, antwortete ich ihm. Nur Frust-Sprech, mehr nicht. Übersetzt hieß das: „Ich glaub’s nicht. Never!“ 
Doch er hat Recht behalten. Und er hat’s noch mitbekommen, dass seine Worte von damals nicht aus heißer frommer Luft bestanden.

Wilhelm und ich haben vor einigen Jahren einen Film zusammen gemacht. Er erzählt darin seine Geschichte; war so stolz darauf, dass ich sie in meinem nächsten Buch veröffentlichen wollte. Wir beide wussten, dass dieser Gewaltakt fast nicht zu schaffen war… seine Krankheit warf schon damals erste Schatten in die Gegenwart. Trotzdem hat er nicht aufgehört, für das Buch (das Ungeschriebene, das Konzept-hafte, das als Idee vorliegende) zu werben UND Sponsoren zu suchen. „Schreib es!“, sagte er immer wieder und griff nach meinem Arm, „schreib das!“

Lieber Wilhelm, du bist jetzt auf der anderen Seite der Wirklichkeit. Du siehst viel mehr und weißt jetzt alles. Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht sicher, ob du uns hier in unserer Welt (noch) im Blick hast. Ich muss zugeben, der Gedanke gefällt mir. Du in Sicherheit, gönnst dir hin und wieder einen Blick in unsere und in deine alte Realität. Schön wär’s.
Und vielleicht gefällt es dir auch, dass (unser!) Buch nicht in Vergessenheit geraten ist. Die zweite und dritte Runde habe ich bereits erfolgreich geschafft. Aber vermutlich weißt du das auch schon alles.

Dein Kampf ist jetzt vorbei. Gut so. Du hast’s hinter dir. Erfolgreich bestanden, lieber Wilhelm.
Also ich sag mal „bis dann!“ 
Ich mach’ am Buch weiter, nehme viele superfromme Sendungen auf und du… du könntest ja schon mal die Gegend unsicher machen. Und grüß’ deine Magda von mir.

Danke für dein Leben, Wilhelm. Danke für dein Vorbild.

In diesem Sinne – auf ins Leben. Bis zur Unendlichkeit!